Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
Vom Netzwerk:
Er beabsichtigt, sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen.»
    «Wegen eines Mordes, der zu diesem Zeitpunkt noch  gar nicht geschehen war?»
    Spaur schüttelte den Kopf. «Darum geht es nicht. Wir  hatten ein Gespräch über Oberleutnant Malparzer. Toggenburg hält nichts von ihm. Er findet, der Oberleutnant sieht alles zu schematisch, zu bürokratisch. Hat keinen Blick  für das große Ganze. Toggenburg meint, es kommt weniger auf die einzelnen Beiträge an als auf die Balance.»
    «Aufweiche Balance?»
    «Die erforderlich ist, damit sich ein harmonisches Ganzes ergibt. Wenn das Gleichgewicht stimmt, müssen nicht alle Beiträge vollständig zensurkonform sein.»
    Tron, der immer noch nicht verstand, was das alles sollte, sagte: «Ein interessanter Gesichtspunkt.»
    Jetzt senkte Spaur verschwörerisch die Stimme. «Der  Stadtkommandant kennt übrigens den Inhalt der nächsten  Nummer des Emporio. Er hat sich persönlich mit dem Fall befasst. Und war ganz angetan von Ihrer Zeitschrift. Insbesondere von der Öffnung des Emporio für nichtitalienisches Gedichtgut.»
    Gedichtgut – dieses Wort würde sich Tron für den späteren Gebrauch merken.
    «Toggenburg meint», fuhr Spaur fort, «dies entspräche  dem Geist einer Monarchie, in der verschiedene Völker, äh, friedlich zusammenleben.» Seine linke Hand wühlte nervös in der Konfektschachtel und förderte ein Stück Trüffelkrokant zutage. «Er findet allerdings auch», sagte er, «dass dieser Geist als solcher nicht in hinreichender Weise im Emporio gewürdigt wird. Dass er gewissermaßen fehlt. Und damit die Harmonie des Ganzen.»
    «Was fehlt denn nach Ansicht Toggenburgs?»
    Spaurs Stirn unter den kastanienbraunen Haaren legte
    sich in Falten. Nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, sagte er: «Der monarchische Gedanke.»
    Tron räusperte sich. «Das heißt konkret?»
    Aber Spaur scheute sich, allzu konkret zu werden. Entsprechend nebulös fiel seine Antwort aus. Er sagte: «Dass nichts gegen eine Veröffentlichung meiner Gedichte und  der Gedichte dieses Franzosen sprechen würde, wenn diese Balance erreicht wäre.»
    «Und wie erreichen wir diese Balance?»
    Der Polizeipräsident hob das Praliné an den Mund, so als würde er den Versuch machen, sich dahinter zu verstecken.
    Dann verschwand das Praliné zwischen seinen Zähnen, und Spaur setzte zu einer Erklärung an.
    «Toggenburg hat in diesem Zusammenhang einen be merkenswerten Vorschlag gemacht», sagte er mit malmen den Kiefern, was seine Worte etwas undeutlich machte. «Er könnte dem Emporio Material zur Verfügung stellen, aus dem sich diese Balance ergäbe. Das finde ich vom Grundsatz her anerkennenswert.»
    «An welches Material hat Toggenburg gedacht?» Tron  hatte zunehmend Schwierigkeiten, der Unterhaltung zu  folgen.
    Spaur warf einen gequälten Blick über seinen Schreibtisch. Wieder schwieg er, um gründliches Nachdenken an zudeuten. «An Gedichte», sagte er schließlich. Er konnte nicht verhindern, dass der Ton am Ende des kurzen Satzes resignierend absackte. «Das Problem ist nur, dass Toggenburgs Gedichte nicht besonders gut sind.» Spaur, ganz der Fachmann, zog die Mundwinkel nach unten. «Das mit dem Reim kriegt er noch nicht richtig hin. Aber als er gehört hat, dass ich im Emporio veröffentliche, hat es ihn auch gepackt.» Er zerknüllte wütend ein Stück Einwickelpapier.
    «Meine Güte, ich kann doch nichts dafür, Tron. Der  Schurke hat mich regelrecht erpresst. Und er sitzt am längeren Hebel.»
    Tron stellte plötzlich fest, dass sein Magen anfing, langsame, träge Purzelbäume zu schlagen. Spaurs Gesicht, sein Schreibtisch und die Konfektschachtel – alles schien sich zu  verdoppeln, zu verdreifachen und dann in Prismen davon zuschweben. «Es geht um Gedichte Toggenburgs?», fragte er.
    Seine Worte kamen als hilfloses Krächzen heraus.
    «Die er mir bereits für Sie mitgegeben hat, Commissario», sagte Spaur. Er lächelte düster.
    Tron wischte sich mit dem Arm über das Gesicht. «Aber  …»
    Spaur schnitt Tron mit einer energischen Handbewegung das Wort ab. Seine Augen funkelten wie auf dem Gesicht angebrachte Nieten. «Wenn Sie die Gedichte abdru cken, wird es kein Problem mit der Zensur geben.»
    «Und wenn ich mich weigere?» Ein ausgesprochen kindischer Einwand, den Spaur aus reinem Mitleid beantwor tete.
    Spaur sagte: «Dann blockiert die Zensur das Erscheinen  des nächsten Emporio della Poesia, und meine Gedichte können nicht veröffentlicht werden.»

Weitere Kostenlose Bücher