Venezianische Verlobung
Wunsch, die Gasbeleuch tung an der Piazza im Nebel zu sehen. In dem Land, aus
dem ich stamme, schlägt ein Caballero einer Señorita einen harmlosen Wunsch nicht aus. Allein wäre Señorita Slataper dort nicht hingegangen. Nicht nach dem, was ihr am Mittwoch passiert war.»
«Als Sie dann zurückkamen – haben Exzellenz sich an
der Tür verabschiedet, oder hat Signorina Slataper Exzellenz noch in ihre Wohnung gebeten?»
«Das hat sie nicht. Warum wollen Sie das wissen?»
«Es scheint, dass Signorina Slataper männlichen Gunst beweisen nicht ganz abgeneigt war.»
«Ich kann Ihnen nicht folgen, Commissario.»
«Pater Maurice von Santa Maria Zobenigo hat die Möglichkeit angedeutet, dass Signorina Slataper von Männerbekanntschaften gelebt hat.»
Gutiérrez runzelte die Stirn. «Sie meinen, sie war eine
…»
Tron schüttelte den Kopf. «Nicht in dem Sinne, dass sie am Rialto auf Kundschaft gewartet hätte. Aber die Signorina hat offenbar einen reichen Gönner gehabt. Jemand, der sie regelmäßig besuchte und für ihre Kosten aufkam.»
«Ist Ihnen dieser Mann bekannt?»
«Leider nicht. Sie scheint ein sehr zurückgezogenes Leben geführt zu haben.»
«Vermutlich hat ihr Bekannter keinen Wert darauf gelegt, dass diese Verbindung an die Öffentlichkeit gelangte.»
Tron nickte. «Vermutlich. Was haben Exzellenz getan, nachdem Sie Signorina Slataper an der Haustür abgeliefert hatten?»
Gutiérrez zuckte mit den Achseln. «Ich bin zurück ins Hotel gegangen, um mich für die Fahrt nach Triest fertig zu machen. Und meine Füße zu trocknen. Das Wasser auf der Piazza ging mir bis zu den Knöcheln.» Der verärgerte Blick, den der Botschafter über den Tisch warf, schien Tron höchstpersönlich für das Hochwasser verantwortlich zu machen.
«Haben Exzellenz das Lloydschiff benutzt, das um Mitternacht ablegt?», erkundigte sich Tron.
Der Botschafter nickte. «Die Erzherzog Sigmund », sagte er. Dann setzte er noch mit gleichgültiger Stimme hinzu, bevor er wieder nach dem Zigarettenetui griff: «Der Dampfer hat pünktlich abgelegt.»
Was sich leicht nachprüfen lässt, dachte Tron. Und als hätte der Botschafter seine Gedanken gelesen, sagte dieser mit einem dünnen Lächeln: «Ich nehme an, Sie werden meine Angaben überprüfen, Commissario.»
Ohne eine Antwort abzuwarten, erhob sich Gutiérrez, um Tron, der ebenfalls aufgestanden war, zur Tür zu geleiten. Dieser eilige Abbruch des Gespräches kam einem Hinauswurf gleich, aber da er keine weiteren Fragen an Gutiérrez hatte, verzichtete Tron darauf zu protestieren.
Im Vorzimmer trafen Tron und Bossi auf einen Herrn, der vielleicht den Grund für die plötzliche Eile des Botschafters darstellte. Es handelte sich um einen etwa dreißigjährigen Mann in einem schwarzen Gehrock, der wartend am Fenster gestanden hatte. Als Tron und Bossi aus dem Salon des Botschafters kamen, drehte er sich um, warf einen verdrossenen Blick auf die Polizeiuniform Bossis und lief grußlos an ihnen vorbei. Er hinkte stark, und seine langen, die Unterlippe berührenden Schneidezähne verliehen ihm das Aussehen eines Frettchens. Tron hatte keine Zeit, den Mann länger zu betrachten, hörte aber noch, wie der Botschafter ihn mit dem Namen Scherzbecher anredete. Ein Name, dachte Tron, der gut zu einem Mann passen würde, der mit Faschingsartikeln handelte – mit explodierenden Zigarren oder Pralinen aus Pappmaché.
Als sie wieder auf die Riva degli Schiavoni traten, sah Tron, dass der Nebel noch dichter geworden war. Die Luft war schwer und feucht, Nebelluft, gesättigt mit Rußpartikeln aus dem Schornstein des kleinen Lloyddampfers aus Chioggia, der gerade angelegt hatte. Auf der anderen Seite der Landungsbrücke lag ein großer Raddampfer, die Erzherzog Sigmund, zu dem man ihn im vergangenen Jahr ge rufen hatte, um den Mord an einem Hofrat und einer jungen Frau aufzuklären. Tron musste an die Principessa denken, an den Sprung, den sein Herz gemacht hatte, als er ihr völlig unerwartet auf dem Deck der Erzherzog Sigmund begegnet war. Am Ende der Gangway hatte er das erste längere Gespräch mit ihr geführt, und jetzt stellte er verwundert fest, dass er sich weniger an den Inhalt des Gespräches erinnerte als an die Spuren, die ihre Stiefel im frisch gefallenen Schnee hinterlassen hatten.
Die Stimme von Sergente Bossi riss Tron aus seinen Be trachtungen. «Er hat gelogen», sagte der Sergente.
Sie standen immer noch vor dem Eingang des Danieli, so wie zwei Touristen,
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