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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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die sich nicht entscheiden konnten, ob sie in Richtung Piazza oder in Richtung Arsenal laufen sollten.
    Tron sah Bossi verständnislos an. «Wie bitte?»
    «Gutiérrez hat Sie angelogen, Commissario», wiederhol te Bossi geduldig. Er grinste plötzlich und steckte vorschriftswidrig die Hände in die Taschen seiner Uniformjacke. «Seine Zeitangaben stimmen vorne und hinten nicht.
    Gutiérrez kam erheblich später ins Hotel zurück.»
    «Und woraus schließen Sie das?»
    Bossis Grinsen wurde breiter. «Weil ich am Sonntag die  Nachtschicht in der Wache an der Piazza hatte», sagte er.
    Dann fügte er in leicht vorwurfsvollem Ton hinzu: «Sie  haben den Dienstplan selber gemacht, Commissario.»
    Tron verzichtete darauf, dem Sergente mitzuteilen, dass er den Inhalt der Dienstpläne normalerweise bereits vergessen hatte, bevor die Tinte getrocknet war. Stattdessen fragte er: «Soll das heißen, dass Sie Gutiérrez Sonntagabend gesehen haben?»
    Der Sergente schüttelte den Kopf. «Ich brauchte ihn gar  nicht zu sehen.» Er hielt kurz inne, um nachzudenken.
    Dann sagte er: «Erinnern Sie sich, wie Gutiérrez gesagt hat, er hätte im Hotel die nassen Stiefel wechseln müssen, weil die Piazza unter Wasser stand?»
    Tron nickte. «Ja, natürlich.»
    «Und dass er gesagt hat, er sei sofort ins Hotel gegangen, nachdem er die Signorina an ihrer Wohnung abgeliefert hatte?»
    «Ich verstehe immer noch nicht, worauf Sie hinauswol len, Sergente.»
    «Ich will darauf hinaus, dass die Piazza kurz nach neun noch völlig trocken war, Commissario. Die Flut kam erst später. Allerdings dann ziemlich schnell. Man konnte regelrecht zusehen. Die Piazza ist innerhalb einer halben Stunde voll gelaufen wie ein Badezuber.»
    «Wann genau kam die Flut?»
    «Gegen Viertel vor elf. Eine halbe Stunde später stand  die Piazza bereits knöcheltief unter Wasser. Daran war auch dieser verdammte Ostwind schuld.»
    «Wir können also ziemlich genau sagen, in welchem  Zeitraum Gutiérrez die Piazza auf dem Weg zum Danieli überquert hat.»
    Bossi nickte stolz. «Wenn Gutiérrez’ Stiefel nass geworden sind, dann hat er die Piazza irgendwann zwischen elf und halb zwölf überquert.»
    «Und hat sich dann beeilen müssen, um noch rechtzeitig  auf den Raddampfer zu kommen.»
    Bossi nickte. «Und das wäre leicht zu überprüfen. Die  meisten Passagiere kommen früher. Der Zahlmeister wird  sich bestimmt an Gutiérrez erinnern.»
    «Also hat Gutiérrez gelogen», sagte Tron. «Wir sollten  denken, dass er gegen Viertel nach neun bereits wieder im  Hotel gewesen ist, obwohl er in Wahrheit erst zwei Stunden später dort eingetroffen ist. Die Frage ist, was hat er in diesen zwei Stunden gemacht? Offenbar etwas, über das er nicht reden wollte.»
    «Gehen wir zurück, Commissario?»
    «Wohin?»
    Bossi deutete ungeduldig über seine Schulter. «Ins Hotel, zu Gutiérrez. Uns anhören, was für eine Erklärung er für seine nassen Füße hat. Und für die fehlenden zwei Stunden.»
    «Ich glaube nicht, dass das klug wäre.»
    «Warum nicht?»
    «Gutiérrez hat einen Fehler gemacht. Wenn wir ihn damit konfrontieren, wird er auf der Hut sein. Vielleicht macht er ja noch einen Fehler.»
    «Also lassen wir ihn vorläufig in Ruhe?» Bossi gab sich keine Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen.
    Tron nickte. «Und behalten ihn im Auge.» Sie traten  beiseite, um zwei Hotelgästen Platz zu machen. «Müssen  Sie noch in die questura, Bossi?»
    «Ich habe bis acht Bereitschaft.» Bossi sah Tron irritiert an. «Sie haben doch selber …»
    Tron unterbrach ihn lächelnd. «Die Dienstpläne gemacht, ich weiß.» Er gab Bossi einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter und sah ihm nach, bis der Nebel ihn verschluckte.

    Gutiérrez war, das musste Tron zugeben, in den Augen von Sergente Bossi der ideale Verdächtige: reich und arrogant, einflussreich und unfreundlich. Der Botschafter hatte dem Sergente nicht nur keinen Stuhl angeboten, sondern auch eine Geschichte aufgetischt, die eindeutig nicht stimmte.
    Aber Tron, dessen Begeisterung für die Person des Botschafters sich ebenfalls in Grenzen hielt, war nicht bereit, aus den unterschlagenen Stunden gleich auf eine Verwicklung des Botschafters in den Mord an Anna Slataper zu schließen.
    Natürlich war es vorstellbar, dass Anna Slataper den Botschafter doch in ihre Wohnung gebeten hatte, vielleicht mit der Absicht, ihm dort schon einmal eine kleine Kostprobe ihrer Reize zu servieren – ein Mädchen in ihrer

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