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Venezianische Verlobung

Venezianische Verlobung

Titel: Venezianische Verlobung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Position tat gut daran, einen möglichst großen Bekanntenkreis von gut situierten Herren zu haben.
    Und es war durchaus denkbar, dass Anna Slataper dem  Botschafter in ihrer Wohnung gerade zu Diensten gewesen war, als sie dort von dem großen Unbekannten überrascht wurden, der für Anna Slatapers Lebensunterhalt aufkam und vielleicht auch emotional in sie investiert hatte. Hatte Gutiérrez es noch geschafft, sich ohne eine tätliche Auseinandersetzung aus der Wohnung abzusetzen, und hatte anschließend der Streit zwischen Anna Slataper und ihrem Gönner mit vier Messerstichen in ihren Rücken geendet?
    Ein Mord aus Eifersucht war keine Seltenheit in der Stadt Othellos.
    Dass Gutiérrez, als Botschafter seine Landes am Heiligen Stuhl, kein Interesse daran hatte, in den Mord an einer Kurtisane verwickelt zu werden, war verständlich. Also hatte er es für das Beste gehalten zu erzählen, er hätte sich, nachdem er Anna Slataper an ihrer Wohnung abgeliefert hatte, direkt ins Hotel begeben. Oder, überlegte Tron weiter, hatte Gutiérrez den Mord vielleicht selbst begangen?
    Das erschien Tron unwahrscheinlich, andererseits wusste er aus Erfahrung, dass es unklug war, in diesem frühen Stadium der Ermittlungen irgendetwas auszuschließen. Fest  stand nur, dass es in dieser Nacht knappe drei Stunden gab, über die Gutiérrez keine Auskunft geben wollte. Fest stand leider auch, dass es schwer sein dürfte, gegen Gutiérrez vorzugehen. Die diplomatische Immunität, die ihm der Status als Botschafter seines Landes verlieh, machte ihn praktisch unangreifbar. Dafür sorgte schon der Dienstweg, auf den sich Gutiérrez notfalls berufen würde.
    Tron beschloss, Bossi morgen Vormittag ins Danieli zu schicken, um festzustellen, wann der Botschafter seine Suite bezogen hatte und ob er regelmäßig nach Venedig kam.
    Und auf keinen Fall konnte es schaden, sich bei der Principessa nach Gutiérrez zu erkundigen. Der Mexikaner hatte es nicht erwähnt, aber Tron ging davon aus, dass Gutiérrez zu der mexikanischen Delegation gehörte, die Maximilian am Montag empfangen hatte.
    Er hatte den Ponte della Paglia überquert und ging langsam am Moloflügel des Dogenpalastes entlang. Normalerweise war die Piazzetta am späten Nachmittag voller Publikum, aber heute schien der dichte Nebel Venezianern wie auch Fremden die Lust vertrieben zu haben, einen Fuß vor die Tür zu setzen. Lediglich eine Gruppe Offiziere in den hellblauen Uniformen der Innsbrucker Kaiserjäger kam Tron entgegen, aber auch sie schienen es eilig zu haben. Als er vergeblich nach den beiden marmornen Säulen ausspähte, war ihm plötzlich so kalt, dass er darauf verzichtete, nach Hause zu laufen, und sich am Molo eine Gondel nahm.
    Eigentlich konnte sich Tron die zwei Lire, die der Gondoliere für die Fahrt zum Palazzo Balbi-Valier verlangen würde, nicht leisten (eigentlich konnte er sich praktisch nichts leisten), andererseits durfte er sich mit einigem Recht als zukünftigen Ehemann einer der reichsten Frauen Venedigs betrachten, und so gesehen war seine momentane fi nanzielle Situation nur eine kurzfristige Liquiditätskrise.
    Was nicht hieß, dass er sein Geld verschenken konnte.
    Den Gondoliere zum Beispiel, in dessen gondola er gestiegen war, hatte Tron noch nie gesehen. Wenn der Bursche keine gültige Lizenz hatte oder er seine Lizenz nicht (wozu er verpflichtet war) vorweisen konnte, durfte er nicht erwarten, dass der Kunde zahlte. Jedenfalls nicht, wenn der Kunde zufällig Commissario von San Marco war.
    Tron nahm sich vor, die Lizenz am Wassertor des Palazzo Balbi-Valier zu überprüfen. Vielleicht ergaben sich ja bei der Gelegenheit auch Wartungsmängel des Wasserfahrzeugs. Er lehnte sich in den Kissen der felze zurück und seufzte.

10

    Von seinem grünen Plüschsofa aus sah Tron, wie der Rotstift der Principessa auf die Akte herabstieß und einen fetten Kringel um eine Zahlenkolonne malte. Die Principessa saß zwei Meter von ihm entfernt mit angezogenen Knien auf ihrer Récamiere und ging ihren üblichen abendlichen Beschäftigungen nach: Sie überprüfte Rechnungen, rauchte  Zigaretten und trank eine Tasse Kaffee nach der anderen.
    Zwischen ihnen stand ein flacher Tisch, auf dem sich,  neben dem Kaffeeservice und einer Schale baìcoli, die Unterlagen der Principessa stapelten: Geschäftskorrespondenz, Entwürfe von Verkaufsprospekten, Rechnungen und Bilanzen. Am Rand des Tisches lag ein dünner Stapel Manuskripte für die nächste Ausgabe des Emporio

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