Venezianische Verlobung
della Poesia – Ma nuskripte, die Tron hin und wieder mit zarten Bleistiftanmerkungen versah.
Wie üblich fiel es ihm schwer, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, denn das Bild, das die Principessa in ihrem eng anliegenden Hauskleid aus schwarzer Kaschmirwolle bot, war überaus verführerisch, speziell die lässig in ihrem Mundwinkel hängende Zigarette, die ihrer Erscheinung einen Einschlag ins Bohemehafte gab. Tron wusste, dass die Montalcinos in ihren Pariser Jahren nicht nur im Tuilerienpalast, sondern auch in den Salons der mondänen Halbwelt verkehrt hatten. Jedes Mal, wenn die Principessa einen Zug aus ihrer Zigarette nahm, sah er sie in einem Atelier im Marais oder auf einem Künstlerfest im Quartier Latin vor sich: laszive Blicke Malern und Kritikern zuwerfend – eine Schneise von gebrochenen Herzen hinter sich lassend.
Seit Mai letzten Jahres traf Tron die Principessa fast jeden Tag. Unter der Woche gingen sie abends häufig ins Fenice oder besuchten Theateraufführungen und Konzerte im Malibran. Zuerst hatten Tron die bewundernden Blicke irritiert, die sich überall auf die Frau an seiner Seite richteten, später begann er, diese Blicke zu genießen, und schließlich bemerkte er sie nicht mehr. Dass selbst dann etwas von dem Glanz der Principessa auf ihn fiel, wenn er allein unterwegs war, stellte Tron eines Tages fest, als ihn eine Gruppe von Generalstabsoffizieren auf der Piazza respektvoll grüßte. Tron vermutete, dass sie ihn zusammen mit der Principessa in der vergangenen Nacht im Fenice gesehen hatten.
An Sommerwochenenden machten sie lange Spaziergänge am Lido – misstrauisch beobachtet von den österreichischen Artillerieleutnants, die mit ihren Batterien dort postiert waren. Selbst im Hochsommer, hatten sie festgestellt, war hier draußen die Luft frisch und klar. Einmal war die Principessa auf den absonderlichen Einfall gekommen, sich die Schuhe und die Strümpfe auszuziehen und ihre Krinoline emporzuraffen, um sich bis zu den Knien ins Wasser zu begeben. Das hatte, fand Tron, einen eindeutigen Einschlag ins Skandalöse – er konnte sich denken, was die Contessa dazu gesagt hätte. Doch als er sich nach langem Zögern ebenfalls die Schuhe ausgezogen und die Hosen hochgek rempelt hatte, fand er es herrlich, den Meeresboden unter seinen Füßen zu spüren und den erfrischenden Wellenschlag an seinen Beinen zu fühlen.
So gesehen spielte Tron bei der Principessa die traditionelle Rolle des cicisbeo, den gesellschaftlich akzeptierten Part des Hausfreundes einer verheirateten Dame – nur dass es sich im Fall der Principessa di Montalcino um eine Witwe handelte. Und da eine offizielle Verlobung zwischen Tron und der Principessa nie stattgefunden hatte, gab es auch keine lästigen Anfragen nach einem Heiratstermin – jedenfalls bis auf die Anfragen der Contessa, die nicht müde wurde, auf eine Eheschließung zu drängen.
An vier Tagen der Woche speiste Tron mit der Principessa zu Abend und verbrachte auch die Nacht im Palazzo Balbi-Valier, wobei der Ablauf der Abende kaum variierte.
Auf ein pünktlich um sieben von Moussada und Massouda (oder Wassouda und Woussada) serviertes Essen schloss sich ein gemütlicher Abend im Salon der Principessa an, was meistens bedeutete, dass die Principessa kettenrauchend in ihren Akten las und Tron die nächste Ausgabe des Emporio della Poesia vorbereitete. Zu diesem eheähnlichen Verhältnis passten Trons Filzpantoffeln und seine Hausjacke aus rotem Samt ebenso wie ein Fundus von immer wiederkehrenden Streitpunkten – beispielsweise den Anschluss Venedigs an das neu entstandene italienische Königreich: Die Principessa begrüßte den Anschluss aus geschäftlichen Gründen und hielt Trons separatistische Träume von einer unabhängigen Republik Venedig für sentimentalen Unsinn. Andererseits, musste Tron zugeben, repräsentierte sie mit ihrem gnadenlosen Rotstift jene unsentimentale Kaufmannsvernunft, der die Stadt einmal ihren Reichtum verdankt hatte, während er selber, mit seinem abgewetzten Gehrock, seinem zerbrö ckelnden Palazzo und der stagnierenden Auflage des Emporio della Poesia, eher das Klischee der sterbenden Stadt verkörperte.
Jedenfalls, dachte Tron, sah die Principessa einfach hinreißend aus – wie sie jetzt den Kneifer von ihrer perfekten Nase nahm, ihre langen Beine ausstreckte, sich lasziv räkelte und die Augen schloss.
« Ils prennent en songeant les nobles attitudes » , sagte er lä chelnd über den Tisch hinweg, indem
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