Venezianische Versuchung
sie spürte, dass es längst hell geworden war. Noch allerdings war sie nicht bereit, sich den Herausforderungen des neuen Tags zu stellen. Es war so schön zu träumen! Noch konnte sie es kaum fassen, dass Richard sie liebte und sie gebeten hatte, seine Frau zu werden. Ja, er hatte sogar mehrfach betont, dass er sie so schnell wie möglich heiraten wolle, hier in Venedig, sobald alles Notwendige arrangiert war.
Nie hätte sie geglaubt, dass etwas so Wundervolles geschehen könne.
Zufrieden seufzte sie und kuschelte sich enger an ihn. Während der letzten Stunden hatte er seine Liebe zu ihr mehr als einmal bewiesen. Erst hatte er sie gegen die Straßenräuber verteidigt. Dann hatte er ihr in diesem Bett, in dem sie jetzt mit ihm lag, immer wieder gezeigt, wie viel sie ihm bedeutete. Sie hatte nicht erwartet, dass der Liebesakt so … so aufregend, so spannend, so umwerfend schön sein könne. Das Ganze war nicht besonders würdevoll, das stimmte. Aber man erlebte solche Wonnen, dass man rasch vergaß, wie schwer es im ersten Moment war, keine Scham zu empfinden. Ohne zu zögern, hatte Jane alles getan, was Richard ihr vorschlug. Wie glücklich konnte sie sich schätzen, dass er sie zur Frau nehmen wollte. Aber – so sagte sie sich – ein beinahe ebenso großes Glück war es, dass sie in ihm einen so wundervollen Liebhaber gefunden hatte.
Sie fühlte sich vom Schicksal begünstigt. Ja, keine Frau hätte sich mehr vom Leben erhoffen können! Es war erst wenige Wochen her, dass sie in Venedig angekommen war. Damals hatte sie schwer an der Vergangenheit getragen und sich große Sorgen um die Zukunft gemacht. Zwar war es ihr dennoch gelungen, ihren Aufenthalt in der Lagunenstadt zu genießen. Doch wie sehr hatte ihr Leben sich verändert, als Richard auftauchte! Im Rückblick war ihr, als habe er sie aus einem Albtraum geweckt, um sie mit all den schönen Seiten des Lebens bekannt zu machen. Seiten, die ihr bisher fremd gewesen waren. Es tat so gut, sich von seiner Liebe und seiner Güte umfangen zu fühlen und endlich keine Angst mehr vor der Zukunft zu haben.
„Janie …“, murmelte er verschlafen. Mit der unverletzten Hand hielt er sie fest. „Geh nicht fort, hm?“
Sie verschränkte ihre Finger mit seinen. „Ich werde nie von dir fortgehen, Richard.“
„Das ist gut.“ Gleich darauf verriet sein regelmäßiger Atem, dass er wieder eingeschlafen war.
Auch Jane spürte, dass die entspannte, friedvolle Stimmung sie wieder schläfrig machte. Wie von weit her hörte sie, dass die Dienstboten bereits mit ihrem Tagewerk begonnen hatten. Jemand schimpfte, eine Magd lachte, Türen klapperten, und von der Treppe her waren eilige Schritte zu vernehmen. Jane kannte diese Geräusche, sie waren typisch für den Beginn eines neuen Tages in der Ca’ Battista.
Doch nein! Etwas war anders! Eine helle Frauenstimme rief etwas auf Englisch. Und eine andere antwortete: „Beeil dich, Mary! Sonst siehst du Papas überraschte Miene nicht, wenn ich ihn begrüße.“
Zu jeder anderen Zeit wäre Jane glücklich darüber gewesen, dass die Töchter des Dukes früher als erwartet in Venedig eingetroffen waren. Sie liebte ihre ehemaligen Schützlinge und freute sich, die zwei nach der wochenlangen Trennung endlich wiederzusehen. Wie typisch es für die beiden war, ihren Vater überraschen zu wollen! Jane hätte darüber geschmunzelt, wenn … ja, wenn es nur nicht gerade jetzt gewesen wäre!
„Richard, wach auf!“, flüsterte sie und schüttelte seinen Arm. „Richard, bitte, deine Töchter stehen vor der Tür!“
Doch dann, noch ehe er die Augen aufschlug, wurde die Tür geöffnet, und die jungen Damen stürzten herein. Zuerst die blonde Lady Diana, der man die Schwangerschaft bereits ansah, und dann die dunkelhaarige Lady Mary.
Abrupt hielten die beiden inne. Sprachlos und mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen starrten sie auf das Bett, in dem ihr Vater zusammen mit der Gouvernante lag. Nackt.
Als englischer Duke von hohem Ansehen und als erfahrener mit Macht und Einfluss ausgestatteter Gentleman ging Richard im Allgemeinen davon aus, dass alles sich ohne große Mühe nach seinen Wünschen regeln ließ. Auch war er jahrelang davon überzeugt gewesen, dass er vom Leben keine Überraschungen mehr zu erwarten habe. Nun, darin hatte er sich geirrt. Nie hätte er gedacht, dass er sich in Venedig in die ehemalige Gouvernante seiner Töchter verlieben würde. Doch da es ein so unglaublich angenehmes Erlebnis war, hatte er
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