Venezianische Versuchung
seiner Seite ein wenig an, um Jane zu verstehen zu geben, dass sie ihre Hände zum Aufwärmen darunterstecken sollte.
Wie gern hätte sie seine Aufforderung befolgt. Doch allein die Vorstellung war skandalös. Sie sollte ihre Finger an Astons Körper wärmen? Unmöglich! „Vielen Dank, Euer Gnaden“, sagte sie also, wobei sie nicht ihn, sondern immer noch ihre Hände anschaute, „aber das wird nicht nötig sein. Nächstes Mal werde ich meine dumme Eitelkeit überwinden und meine dicken Strickhandschuhe anziehen.“
Er runzelte die Stirn. „Sie wollen nicht über Ihre Erfahrungen in der Liebe mit mir sprechen, nicht wahr? Schade … Ich wüsste gern etwas mehr über Sie. Letzte Nacht ist mir klar geworden, dass Sie eigentlich eine Fremde für mich sind, obwohl Sie schon so lange für mich arbeiten.“
„Das stimmt nicht!“, widersprach sie. „Sie wissen, dass ich in Northumberland geboren und von meinem Vater unterrichtet wurde. Es ist Ihnen bekannt, dass ich Französisch und ein wenig Italienisch spreche, dass ich junge Damen in Musik, Zeichnen oder auch Mathematik unterrichten kann und dass …“
„Das alles bedeutet gar nichts!“ Mit einer weit ausholenden Handbewegung tat er ihre Bemerkung ab. Die Gondel geriet ein wenig ins Schwanken. „Diese Dinge kann jeder über Sie erfahren, der sich die Mühe macht, Ihre Zeugnisse und Empfehlungsschreiben zu lesen. Ich meine etwas anderes. Bis vor Kurzem hatte ich zum Beispiel keine Ahnung, welche Farbe Ihre Augen haben. Nun weiß ich, dass sie blau sind, so blau sind wie der Rittersporn im Garten von Aston Hall.“
Seine Kühnheit – oder hätte sie Unverschämtheit sagen sollen? – machte sie sprachlos. Unwillkürlich hob sie den Kopf, sodass ihre Blicke sich trafen. Im gleichen Moment begriff sie, dass seine Bemerkung kein kühnes Kompliment war, sondern ein Zeichen des Vertrauens. Er war einfach ehrlich ihr gegenüber gewesen.
Ein Duke, der einer Gouvernante, einer Untergebenen, so viel Aufmerksamkeit und Vertrauen entgegenbrachte … Das war etwas Ungewöhnliches!
Natürlich hatte er früher nie auf ihre Augenfarbe geachtet . Ich habe der seinen ja auch keinerlei Beachtung geschenkt . Erst seit dem vergangenen Abend wusste sie, dass seine Augen weder blau noch grün noch braun waren, sondern eine Mischung aus all diesen Farben. Eine faszinierende und komplizierte Mischung, die irgendwie seinem Charakter entsprach.
Sie betrachtete Aston möglichst unauffällig. Die unzähligen Stunden, die er im Freien verbracht hatte, waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Wind und Wetter hatten kleine Fältchen rund um seine Augen entstehen lassen. Fältchen, die tiefer wurden, wenn er lächelte, so wie er es jetzt gerade tat.
Schüchtern erwiderte Jane sein Lächeln.
Zu ihrer Überraschung war diesmal er derjenige, der als Erster den Blick abwandte. Er schaute über das graue Wasser des Kanals zum Horizont hin. In Gedanken schien er weit fort zu sein. Und nach einer Weile begann er mit leiser Stimme zu sprechen:
„Lady Anne Hailey begegnete mir zum ersten Mal auf einem Ball zum Ende der Weihnachtszeit. Ich verbrachte die Winterferien daheim. Damals war ich nichts weiter als ein dummer Jüngling, unsicher einerseits und andererseits viel zu sehr von mir und meinem Wert überzeugt. Anne wiederum war so jung, dass ihre Eltern sie noch nicht einmal bei Hofe vorgestellt hatten. Trotz ihrer Unerfahrenheit gelang es ihr in kürzester Zeit, mich zu … zähmen. Sie trug gern rote Bänder im Haar. Und sie hasste die Sommersprossen, die ihre Nase bedeckten. Nie habe ich etwas Fröhlicheres gehört als ihr Lachen.“
Er seufzte. „Der Ball gefiel uns beiden nicht besonders gut. Also bot ich ihr an, sie auf die Terrasse hinauszuführen. Wir bewunderten das Mondlicht, das den frisch gefallenen Schnee schimmern ließ. Ich wagte nicht, sie zu küssen. Doch plötzlich spürte ich ihre Lippen auf den meinen. Einige Monate später heirateten wir. Sie war meine erste Liebe, meine einzige Liebe. Und ich habe sie viel zu früh verloren.“
Jane hatte fasziniert gelauscht.
Ob ihm meine Anwesenheit überhaupt noch bewusst ist?
Er schien ganz und gar in die Vergangenheit eingetaucht zu sein. Und doch fühlte Jane sich ihm sehr nahe. Er hatte ihr Dinge anvertraut, über die er gewiss mit niemandem auf Aston Hall je gesprochen hatte. Sie war so gerührt darüber, dass ihre Augen feucht wurden. Er hatte sie an seinem Kummer teilhaben lassen, hatte seine Trauer mit ihr
Weitere Kostenlose Bücher