Venezianische Versuchung
Gnaden?“
„Nein.“ Plötzlich fühlte er sich wie ein Idiot. Da saß er nun auf der Bank am Kachelofen, ließ sich von der Gouvernante seiner Töchter mit Schokolade bewirten und war nicht einmal richtig angezogen. „Legen Sie meine Kleidung bereit“, befahl er dem Kammerdiener. „Ich werde den Tag außer Haus verbringen.“
„Werden Sie längere Zeit auf dem Wasser sein?“, fragte Wilson.
Aston erhob sich und ging auf die Tür zu. Mit seinen nackten Füßen kam er sich albern vor, aber seine Haltung war dennoch sehr würdevoll. „Auf dem Wasser, auf den Wegen, in Kirchen und Gasthöfen oder wo auch immer“, verkündete er. „Ich werde angemessene Kleidung benötigen. Und sorgen Sie auch für etwas, das mich und Miss Wood warm hält. Sie wird mir die Sehenswürdigkeiten zeigen. Und ich erwarte, dass keiner von uns frieren muss.“
7. KAPITEL
J etzt habe ich wirklich genug Geschichten über diesen Glockenturm gehört, Miss Wood“, sagte Richard. „Also bitte nichts mehr über den Campanile!“
Unter dem Rand der Kapuze ihres Mantels hervor schaute Jane ihn an. Dabei bewegte sie den Kopf so wenig wie möglich. Konnte sie sich überhaupt noch bewegen? Sie wusste es nicht. Ihr war, als sei sie zu einem großen Eisklumpen gefroren. Seit die heißen Kohlen in ihrem Fußwärmer erkaltet waren, spürte sie ihre Zehen nicht mehr. Später waren ihre Beine immer gefühlloser geworden, und schließlich auch ihre Hände und Arme.
Über Nacht war das Wetter umgeschlagen. Die Temperatur war gefallen, und aus dem sanften Wind waren eisige Böen geworden, die über die Kanäle fegten.
Dennoch hatte der Duke darauf bestanden, eine Gondel zu nehmen, um die Stadt zu erkunden.
Früher hatte Jane geglaubt, eine Gondel sei ein angenehmes Fortbewegungsmittel. Das war allerdings an deutlich wärmeren Tagen gewesen. Bei gutem Wetter hatte sie es genossen, über die Kanäle zu gleiten, den Blick schweifen zu lassen und Signor Gaspari zuzuhören, der ihr zu Füßen saß und ihr viel Interessantes über die Gebäude, die Plätze oder die Geschichte Venedigs zu berichten wusste.
Heute jedoch war alles anders. Ohne sie auch nur darüber zu informieren, hatte der Duke den armen Signor Gaspari entlassen. Als neue Fremdenführerin hatte Jane geglaubt, sie müsse auf der einfachen Holzbank Platz nehmen. Doch Aston hatte darauf bestanden, dass sie sich neben ihn auf dem gepolsterten Sitz niederließ. Die körperliche Nähe zu ihrem Arbeitgeber machte sie angespannt. Aber jeder Widerspruch war zwecklos gewesen.
Also hockte Jane nun auf der mit weichen Kissen ausgestatteten Bank und hatte das Gefühl, geradezu erdrückt zu werden von dem großen, breitschultrigen und attraktiven Mann, der sie immer wieder unabsichtlich mit dem Arm berührte. Vergeblich hatte sie versucht, ein Stück von ihm abzurücken. Die Gondel war einfach zu schmal. Zudem hatte Wilson darauf bestanden, eine Decke über ihre und Astons Beine zu breiten, wodurch eine sehr beunruhigende Intimität entstand.
Im Rückblick erkannte Jane, dass alles ihre eigene Schuld war. Es war ein Fehler gewesen, den Duke mit Schinken zu füttern. Sie hatte es getan, um ihm etwas über das Lebensgefühl der Venezianer beizubringen, doch er musste ihre freundliche Geste missverstanden haben. Glaubte er, sie habe versucht, sich verführerisch zu geben? Jedenfalls hatte er während des Frühstücks aufgehört, sie wie eine Gouvernante zu behandeln. Er benahm sich keineswegs aufdringlich. Auch gab er sich nicht herablassender als gewöhnlich. Dennoch war eine deutliche Änderung in seinem Verhalten spürbar.
Jane konnte nicht sagen, was anders geworden war. Es ließ sich schwer in Worte fassen. Doch deshalb war es nicht weniger beunruhigend. Jahrelang hatte sie das Gefühl gehabt, für Aston unsichtbar zu sein. Gut, er hatte sich bei ihr regelmäßig nach seinen Töchtern erkundigt. Aber dabei hatte ihn stets nur ihre berufliche Einschätzung interessiert. Als eigenständige Persönlichkeit hatte er sie nicht wahrgenommen. Nun plötzlich sah er sie an wie ein menschliches Wesen, das seine Neugierde weckte. Nein, schlimmer noch: Er schaute sie an, wie ein Mann eine Frau anschaut. Wie, um Himmels willen, sollte sie darauf reagieren? Was erwartete er von ihr? Wie sollte sie mit ihm sprechen, jetzt da er so dicht neben ihr saß, dass seine Hüfte gegen die ihre gepresst wurde?
Sie seufzte auf, und ihr Atem bildete eine kleine weiße Wolke vor ihrem Gesicht. „Verzeihen Sie, Euer
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