Venezianische Versuchung
so schlimm.“ Damit riss sie sich los.
Die Gondel hatte jetzt den nächstgelegenen Steg fast erreicht, und der Gondoliere wollte anlegen. Doch schon hatte Jane ihre Röcke gerafft – und sprang. Einen Moment lang sah sie das dunkle Wasser unter sich und fürchtete, sie würde hineinstürzen und ertrinken. Aber da spürte sie schon festen Boden unter den Füßen. Sie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und hastete auf eine schmale Gasse zu. Dabei schickte sie ein stummes Gebet zum Himmel. Gott gebe, dass der Duke ihr nicht folgte!
„Miss Wood!“, rief er. „Miss Wood, kommen Sie sofort zurück!“
Zum ersten Mal, seit sie in seinem Dienst stand, tat sie so, als höre sie ihn nicht. Stattdessen machte sie noch größere Schritte. Dann hatte sie das Gässchen erreicht, das so schmal war, dass nur wenig Licht hineindrang. Sie brauchte jetzt Zeit für sich allein. Sie musste die Kontrolle über ihre Gefühle zurückgewinnen, sich über ihre Situation klar werden und ihren Stolz wiederfinden.
Sie schalt sich selbst eine Närrin. Wie hatte sie nur glauben können, sie würde eine Sonderrolle unter den Bediensteten des Dukes einnehmen? Gut, er hatte ihre Augenfarbe bemerkt. Aber das hieß gar nichts. Für ihn war sie nichts weiter als eine bezahlte Fremdenführerin.
Jane wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sie würde jetzt nicht weinen! Sie musste sich sammeln und auf ihre Umgebung achten, wenn sie sich nicht verlaufen wollte. Zum Glück hatte sie die Lagunenstadt während der letzten Wochen mehrmals zu Fuß erforscht. Sie trat aus der Gasse, warf einen Blick auf den Kanal, den sie erreicht hatte, und beschloss, ihn zu überqueren. Nicht weit entfernt gab es eine geschwungene Brücke, auf der reger Betrieb herrschte. Das musste bedeuten, dass sie Zugang zu einem lebhaften Viertel bot.
Wenig später entdeckte Jane die Spitze des Campanile. Gut, vom Markusplatz aus würde sie problemlos zur Ca’ Battista finden.
Sie bog nach rechts ab und betrat gleich darauf den Platz mit dem wunderschönen Markusdom, den sie vom ersten Augenblick an geliebt hatte. Da sie hoffte, dass Aston als Mitglied der anglikanischen Kirche wohl kaum in einem katholischen Gotteshaus nach ihr Ausschau halten würde, beschloss sie, in San Marco Zuflucht zu suchen. Dort würde sie in aller Ruhe nachdenken können.
Sie überquerte den Platz und wunderte sich, wie wenige Menschen an diesem Tag hier unterwegs waren. Im Allgemeinen drängten sich hier sowohl Einheimische als auch Fremde. Nun, wahrscheinlich wagte sich wegen der Kälte kaum jemand vor die Tür. Ein eisiger Wind wehte, und überall auf dem Platz hatten sich große Pfützen gebildet. Als Hochwasser konnte man es noch nicht bezeichnen, doch vorsichtshalber hatten die Venezianer schon hölzerne Stege aufgebaut. Diese schwankten, als Jane auf ihnen in Richtung des Doms ging.
Ein heftiger Windstoß hätte ihr beinahe das Gleichgewicht geraubt. Unwillkürlich machte sie einen Schritt zur Seite und geriet gefährlich nah an den Rand des Stegs.
In diesem Moment fasste jemand nach ihrem Oberarm. Sie erschrak. Hatte der Duke sie eingeholt?
8. KAPITEL
M eine liebe Freundin!“, ertönte eine Männerstimme. „Ich habe nicht erwartet, Ihnen hier zu begegnen.“
Sie erkannte die Stimme sofort. Und richtig, als sie sich umdrehte, stand Signor di Rossi vor ihr.
„Ihr ergebener Diener, Miss Wood.“ Mit seiner behandschuhten Hand hielt er noch immer ihren Oberarm umfasst und half ihr so, das Gleichgewicht zu wahren. „Es gibt kaum etwas Gefährlicheres als einen schwankenden Holzsteg, nicht wahr?“
Er lächelte, amüsiert über seine eigenen Worte. Und Jane kam sich ein wenig albern vor, weil sie sich so erschrocken hatte. Das Gesicht des Venezianers drückte nichts als Freude darüber aus, dass er sie so unvermutet getroffen hatte. Ein dunkler Hut saß auf seinem schwarzen Haar und betonte, zusammen mit der dunklen Kleidung, sein exotisches Aussehen. Nur das weiße, im Wind flatternde Tuch hellte seine Erscheinung etwas auf.
Er war das zweite Mal innerhalb einer Stunde, dass ein Mann Jane festhielt, um sie vor einem Sturz zu bewahren. Doch während der Duke fest und besitzergreifend zugepackt hatte, war Signor di Rossi sehr sanft. Er bot ihr seinen Arm, nachdem er sie losgelassen hatte.
Jane dankte ihm für seine Hilfe und hakte sich unter, um sich von ihm zum Dom begleiten zu lassen. „Sie ahnen ja nicht“, meinte sie leise, „wie sehr ich mich freue, Sie zu
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