Venit. Die Akte Veden: Thriller (Filii Iani-Trilogie) (German Edition)
Blick auf die Wanduhr. »Jung müsste sich noch in den Archiven aufhalten. Du hast noch fünfzehn Minuten, bevor die nächste Unterrichtsstunde beginnt. Bitte geh und stelle dich ihm vor.«
Wieder nickte er. »Bin schon unterwegs.«
Veden lächelte, zwinkerte ihm zu und verschwand im Treppenhaus.
Nachdenklich starrte Chester die Tür an.
Warum hielt Veden es für nötig, ihn auf die zwei Typen anzusetzen? Und warum gaben die sich als Inspektoren aus statt offen und ehrlich zu ermitteln? Merkwürdige Zusammenhänge waren das.
Er schüttelte die Gedanken ab, kam auf die Beine und zog sich um. Den Trainingsanzug und die Riemen verstaute er in der Sporttasche, schlüpfte in Sweater und Jeans, band die Schnürsenkel der Turnschuhe und verließ die Garderobe.
Draußen fuhr ihm der eiskalte Herbstwind in die Kleidung. Fröstelnd stellte Chester die Sporttasche ab und zog die Jacke an. In diesem Moment sah er einen fremden Mann aus dem Schulgebäude kommen. Chester richtete sich auf.
Der Typ war überraschend jung, vielleicht gerade einmal dreißig Jahre alt. Das dunkelblonde gelockte Haar sah nicht so aus, als würde er es pflegen – falls es einen Schnitt besessen hatte, war der längst herausgewachsen. Der schwarze Anzug saß eher schlecht, und als der Mann jetzt in Richtung Wohnheim losging, hätte Chester beinahe gelacht.
Die Bewegungen waren so ungewandt und plump, dass es ihm fast körperlich wehtat. Aber Chester war klar, dass er in dieser Hinsicht voreingenommen war. Wenn man an der Veden-Schule aufwuchs und sich unablässig unter Leuten befand, die den Kampfsport trainierten, welcher den Körper dergestalt ausbildete, kam einem jeder andere dort draußen wie ein ungeschickter Idiot vor, der über die eigenen Füße fiel.
Chester folgte dem Typen. Er musste nicht besonders schnell gehen, denn der Kerl hielt auf halber Strecke zwischen Schulgebäude und Wohnheim inne und blickte auf die Parkanlage hinunter.
Im Näherkommen revidierte Chester seine erste Einschätzung. Der Mann mochte sich vielleicht bewegen, als besäße er kein Rückrat, doch er war mit Sicherheit kein Schwächling. Unter dem schlecht sitzenden Anzug zeichnete sich eine sportliche Gestalt ab. Und war da nicht eine leichte Ausbeulung des Jacketts an der rechten Hüfte?
Chester blieb leicht versetzt hinter dem Ermittler alias Inspektor stehen, völlig zufrieden, dass er sich unbemerkt hatte nähern können, und folgte seinem Blick in den Park.
Auf der dafür vorgesehenen Fläche fand einer der Meditationskurse statt. Ein paar Schüler gingen mit ihrem Lehrer immerzu im Kreis, die angelernte Körperhaltung einhaltend. Das sah sich der Kerl also an.
»Kinhin«, sagte Chester laut, der Meditation einen Namen gebend.
Der Mann drehte sich überrascht um und richtete haselnussbraune Augen auf ihn.
So eine Scheiße, dachte Chester, während er das Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den ansonsten eher rundlichen Zügen musterte. Der Kerl machte einen einigermaßen sympathischen Eindruck.
Unter diesen Umständen war das gar nicht gut.
*
Loki von Schallern stand rauchend im Schatten einer Litfasssäule und verfolgte mit bewegungsloser Miene das Treiben auf dem kleinen Platz. Gegenüber lag ein Supermarkt, links daneben eine Metzgerei. Das angrenzende Gebäude wurde von einem schmalen Fußgängerweg unterhöhlt, sodass es die Form eines hölzernen Bauklötzchens hatte. Mit solchen Klötzchen hatte seine Zwillingsschwester Iduna gespielt, als sie um die zwei Jahre alt gewesen war.
Hinter Loki lag ein Drogeriemarkt, rechts davon eine Apotheke. Anschließend wölbte sich ein durchsichtiges Plexiglasdach über einen etwa vier Meter breiten Durchgang, der die Gebäude verband. Der Apotheke gegenüber lag ein kleiner Schreibwarenladen, der sich wiederum an den Supermarkt anschloss.
Seine Augen richteten sich in den Durchgang. Er konnte weitere Geschäfte erkennen, darunter eine Buchhandlung, ein Gemüsehändler und eine Wäscherei. Ein Schild an der Hausfassade der Apotheke deutete darauf hin, dass sich zahlreiche Arztpraxen über den Läden befanden.
Alles in allem war das nicht besonders aufschlussreich. Derlei Einkaufspassagen waren stets relativ gleich angelegt, zumal diese Passage zu einem Wohnkomplex gehörte, der in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden war. Die ordinäre moderne Baukunst wies sich nicht mit spielerischen Besonderheiten aus, im Gegenteil. Ihre Schlichtheit kam allerdings
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