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Venit. Die Akte Veden: Thriller (Filii Iani-Trilogie) (German Edition)

Venit. Die Akte Veden: Thriller (Filii Iani-Trilogie) (German Edition)

Titel: Venit. Die Akte Veden: Thriller (Filii Iani-Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Meier
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jener Figur, die einst die Seele eines Kindes in sich getragen hatte. Der leere Mann im Gebüsch unten kam in Bewegung. Er war flink. Wie eine Schlange wand er sich durch das dreckige, verdorrte Geäst und lief die Böschung herauf.
    ›I will dazzle them with my wit‹, sang Hora.
    ›Träum weiter‹, erwiderte Chest. Er nahm den Stick zwischen die Lippen und begann, zu zählen: ›Eins, zwei, drei.‹
    Hora war nicht mehr an seiner Seite, bevor er noch das I von ›drei‹ richtig zu Ende gesprochen hatte. Chest hörte hinter sich einen Schlag, ein plumpes Keuchen, und dann fuhr seine eigene Faust gestreckt auf die Nase des hohlen Mannes nieder, während er mit dem Fuß das Kind davonkickte.
    Chest drückte die Nase in den Schädel ein, das morsche Gewebe darunter gab bedingungslos nach. Der Kerl sah jetzt aus wie eine Knetmassefigur, die von der Tischkante gefallen und auf dem Gesicht gelandet ist.
    ›Our bodies thrown in time. Silent on the weekdays‹, sang Hora in Chests Kopf.
    Aus den Augenwinkeln sah Chest das Kind zurückkommen, auf dem Boden kriechend wie eine behinderte Kakerlake. Der Fuß, dem der Schuh fehlte, war merkwürdig verdreht, wahrscheinlich aus dem Gelenk gerissen.
    Der Kerl mit dem eingedrückten Gesicht wankte stöhnend herum, immer um die eigene Achse. Chest gab ihm einen Stoß. Er prallte gegen das Geländer, kippte vornüber und fiel auf die Gleise hinunter. Unten kam er auf wie eine verfaulte Frucht; sein Leib riss der Länge nach auf.
    Hinter sich hörte Chest Schläge und das Heulen der Geprügelten. Er sah auf das Kind hinab, das nur noch einen Meter von ihm entfernt war. Chest ging in die Knie.
    »Wie alt war das Kind, ehe es starb?«, fragte er den kriechenden Leichnam.
    »Ich lebe«, krächzte das Ding. Das eine Auge rollte irre in der Höhle.
    »Natürlich lebst du. Aber wie alt warst du, als du deine Seele verleugnet hast?«
    Für einen winzigen Moment stand das Auge still, selbst die Kriechbewegung hörte auf. »Sieben«, schnarrte das Ding.
    ›Bild dir nichts drauf ein‹, meinte Hora.
    Chest grinste und stand auf.
    »Nur einen Krümel«, flehte das Kind und kroch wieder auf ihn zu.
    Chest sah ausdruckslos auf das Ding hinunter.
    »Sir, nur einen Krümel, oder schenkt mir den Tod! Bitte, Sir!« Die näselnde Stimme überschlug sich fast vor Winseln.
    »Ich wünschte, ich könnte dir den Tod schenken«, murmelte Chest.
    ›Wirst du rührselig? Haha!‹
    Chest hob den Fuß und ließ ihn mit Wucht auf den Kinderschädel hinunterfahren. Er stöhnte, als ihm klar wurde, dass er sich jetzt neue Schuhe besorgen musste.
    »Nicht rührselig«, sagte Chest, nahm den Stick zwischen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand und blickte in das Gesicht Horas, das jetzt neben ihm auftauchte.
    Horas Miene war todernst, aber in Gedanken kicherte er. ›Alles nur aus Eigennutz, ich weiß! Tonight I claim what's mine!‹
    Chest drehte sich um, und zusammen wanderten sie die Böschung hinunter. Er zog noch dreimal am Stick, dann warf er ihn weg.
    ›Sie werden immer modriger‹, dachte Hora, als sie fast am Ziel angekommen waren. ›Fünfzig Jahre geht das jetzt schon so.‹
    Chest antwortete nicht.
     
     
    Sie erreichten das schäbige Hochhaus, drückten auf die Klingel, warteten auf den surrenden Ton, der sie einließ und stiegen die sechs Stockwerke hinauf.
    Irgendwo unten im Hausgang, wahrscheinlich im Keller, war ein leises Schaben zu hören, als würde etwas über den Boden geschleift, begleitet von ersticktem Stöhnen.
    Wolter erwartete sie in der Tür zu seiner Wohnung. Er war kreidebleich, zitterte leicht und sah ausgemergelt aus.
    Chest dachte nicht viel an die Vergangenheit, eigentlich nie, doch im Anbetracht seiner gerade absolvierten Imagination fühlte er einen Anflug von Bedauern. Wolter war einst ein ansehnlicher Bursche gewesen, voller Kraft, Leidenschaft und Vitalität, wenn auch ein wenig zaghaft und von zerstreutem Geist. Jetzt sah er aus wie ein billiger Abklatsch seiner Jugendversion, wie der klägliche Versuch eines miserablen Bildhauers, Wolter nachzustellen. Ein wirklich miserabler Versuch.
    »Total cool, Leute«, sagte er und ließ sie herein, warf einen schnellen, furchtsamen Blick in den Hausflur und riss die Tür zu. Er verriegelte fast fünfzig Schlösser; die ganze Tür schien nur aus Schlössern zu bestehen.
    Hora und Chest standen still hinter ihm und sahen ihm dabei zu. Aus dem Wohnzimmer hörten sie Stimmen.
    Wolter drehte sich um und sah zuerst Hora, dann Chest

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