Venit. Die Akte Veden: Thriller (Filii Iani-Trilogie) (German Edition)
die der Direktor jetzt an den Tag legte, keine Regung erkennen. »Erinnern Sie sich daran?«
»Selbstverständlich, wie könnte ich nicht? Eine tragische Nacht war das, ein großer Verlust für die Schule.«
»Ja, großer Verlust«, sagte Tim. »Frau Benz hat mir gesagt, dass der Brand von einer Kerze verursacht worden ist. Mir kommt das alles ein bisschen merkwürdig vor. Was hat eine Kerze da unten zu suchen?«
Die blauen Augen musterten Tim einen Moment, dann machte sich wieder ein Grinsen auf dem Gesicht des Direktors breit, das ihn jünger aussehen ließ. »Genau diese Frage habe ich damals auch gestellt. Sie scheinen mir ein scharfsinniges Bürschchen zu sein, was?«
Tim spürte, wie er rot anlief. Er räusperte sich. »Haben Sie eine Antwort bekommen?«
»In der Tat.« Veden vergrub die Hände in den Hosentaschen und nickte grüßend einer Schülerin zu, die an ihnen vorbeiging. »Zwei Berichterstatter der Schülerzeitung haben sich in den Archiven ein Stelldichein gegeben. Sie wissen schon, eine dieser jugendlichen Romanzen, die nicht von langer Dauer sind.« Er zwinkerte. »Als sie zusammen an einem Artikel arbeiteten, wollte der junge Mann besonders romantisch sein und seine Angebetete im Kerzenschein verführen. Im Eifer vergaßen sie, die Kerze auszublasen. So zumindest haben mir die beiden die Geschichte erzählt. Ich hielt sie für glaubwürdig.«
»Ja, klingt glaubwürdig.«
Die blauen Augen musterten Tim eingehend, und in diesem Moment wurde Tim klar, dass er diesen Schönling mit seinem affigen Getue nicht unterschätzen durfte. Er erinnerte sich daran, wie sich Loki und Veden bei ihrer ersten Begegnung gemustert hatten, und dass die Miene des Direktors damals alles andere als herzlich gewirkt hatte.
»Sie graben diesen uralten Fall wieder aus?«, fragte Veden.
Tim schüttelte den Kopf. »Ich habe mich nur gewundert, wo die fehlenden Akten sind, und als mir Frau Benz davon erzählt hat, fiel mir das auf. Das ist alles.«
Veden lächelte wieder. »Dann kennen Sie ja jetzt die Antwort. Sie machen Feierabend?« Er warf einen Blick auf die Armbanduhr, die er über den Lederriemen trug. Ein eigenartiger Anblick: abgeriebene, fransige Lederriemen, darüber eine teure Golduhr.
»Ja. Sechzehn Uhr ist meine Deadline, könnte man sagen.«
»Sie haben ein Leben!« Der Direktor zeigte wieder Zähne. »Nun muss ich aber weiter, Herr Jung. Nicht alle können so früh dem Müßiggang frönen.« Er tätschelte kameradschaftlich Tims Schulter, drehte sich um und ging mit großen Schritten in Richtung seines Büros davon.
»Müßiggang, von wegen«, murmelte Tim und sah ihm nach. Der Bursche bewegte sich wirklich gewandt und geschmeidig. Das musste man ihm lassen. Die Frauen flogen auf solche Typen. Vielleicht sollte Tim auch mit einem Kampfsport beginnen? Und sich an das Anzugtragen gewöhnen?
Er schüttelte die Gedanken ab und machte sich auf den Weg in sein Zimmer. Dort warf er die Unterlagen auf den Tisch, zog Jeans und Sweatshirt an und rief sich ein Taxi. Er ging hinaus und wartete vor dem Schultor. Eine Zigarette später kam das Taxi, und Tim ließ sich zum Präsidium fahren.
*
Yannik Hansen saß mit angezogenen Knien in der Ecke, die Hände an die Brust gepresst. Sein Kopf kippte immer wieder nach vorne, zuckte allerdings im Anschluss heftig zurück und stieß dabei gegen die Wand.
Er war unendlich müde, hatte aber Angst davor, einzuschlafen. Nein, nicht Angst – das war das falsche Wort. Die Angst hatte längst nachgelassen und war einer stumpfen Lethargie gewichen. Es war vielmehr eine körperliche Gewissheit, die ihm nicht erlaubte, einzuschlafen. Das hatte nichts mit klaren Gedanken zu tun. Sein Körper befahl ihm bar jeglicher rationalen Erklärung, wach zu bleiben. Es gab nichts, das er dagegen unternehmen konnte.
Irgendwo in der Dunkelheit war ein stetig wiederkehrendes Geleier zu hören, das nur für ein paar Minuten abbrach, um anschließend fortgesetzt zu werden. Der Singsang hatte etwas Beruhigendes, beinahe wie das beharrliche Rattern von Zugrädern auf Schienen.
Während Yannik vor sich hinstarrte, wünschte er sich nur eines: Er wollte seine Freundin noch einmal sehen, nur ein einziges Mal. Er wollte ihr sagen, wie sehr er sie liebte, wie sehr er jede Sekunde mit ihr zusammen genossen hatte.
Als urplötzlich ein Quietschen zu hören war, als würde irgendwo eine verrostete Scharniere bewegt, schreckte Yannik aus den schläfrigen Wachträumen auf. Er spähte in die
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