Venus 01 - Piraten der Venus
gekommen, daß es ursprünglich nichts von meiner Gegenwart gewußt hatte, sondern daß es von dem anderen Wesen verfolgt worden war.
In dem Halbdämmer der venusianischen Nacht sah ich mich ei nem Tier gegenüber, das einem Alptraum entsprungen schien. Es war etwa so groß wie ein ausgewachsener Puma und hatte vier handähnliche Klauen, die mich vermuten ließen, daß es nur in den Bäumen lebte. Die Vorderbeine waren zudem viel länger als die Hinterbeine und verliehen dem Tier eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Hyäne – die aber damit bereits erschöpft war. Der Pelz war in rot und gelb längs gestreift, und der gewaltige Kopf zeugte von der außerirdischen Herkunft des Tieres. Ohren waren nicht zu se hen, und auf der niedrigen Stirn erhob sich ein einzelnes, großes, rundes Auge, das am Ende einer etwa zehn Zentimeter langen dicken Antenne schwang. Das Ungeheuer hatte kräftige Kiefer mit langen, scharfen Zähnen, und links und rechts am Hals ragten zwei gewaltige Scheren hervor. Ich hatte noch kein Wesen gesehen, das auf ähnliche Weise für den Angriff ausgerüstet war. Mit sei nen Scheren hätte es sich mühelos einen Gegner vom Leib halten können, der stärker war als ein Mensch.
Eine Zeitlang beäugte es mich mit dem entsetzlichen Auge, das langsam hin und her pendelte – zusammen mit den Scheren, die sich zudem öffneten und schlossen. In der kurzen Atempause, die mir vergönnt war, blickte ich mich um und entdeckte zu meiner Überraschung eine Öffnung im Stamm hinter mir – eine Öffnung von etwa einem Meter Breite und fast zwei Metern Höhe. Beson ders bemerkenswert erschien mir, daß diese Öffnung mit einer Tür verschlossen war, einer Tür aus Holzstäben.
Verblüfft betrachtete ich meine Entdeckung und fragte mich ge rade, was ich jetzt tun sollte, als ich plötzlich eine Bewegung hin ter den Türstäben bemerkte. Im nächsten Augenblick tönte eine Stimme aus dem Inneren des Stammes – offenbar die Stimme ei nes Menschen, die jedoch eine mir unbekannte Sprache sprach. Der Unbekannte hatte einen sehr entschiedenen Ton, und ich konnte mir fast vorstellen, daß er fragte: »Wer sind Sie, und was wollen Sie hier mitten in der Nacht?«
»Ich bin ein Fremder«, sagte ich. »Ich komme in Frieden und Freundschaft.«
Natürlich wußte ich, daß mich das Wesen hinter der Tür nicht verstehen konnte, aber ich hoffte, daß meine friedlichen Absichten an dem Ton zu erkennen waren, den ich angeschlagen hatte. Nach kurzem Schweigen wurden andere Stimmen hinter der Tür laut; offensichtlich besprach man die Situation. Dann bemerkte ich, daß sich das Wesen auf dem Verbindungssteg an mich heranzuschlei chen begann, und wandte mich wieder um.
Ich hatte zwar keine Waffe, sondern nur ein Stück nutzloses Seil, aber ich wußte, daß ich etwas unternehmen mußte. Irgend etwas. Ich konnte nicht einfach stehenbleiben und dem Tier seinen Willen lassen. Ich entrollte ein Stück Seil und ließ das Ende vor schnellen.
Natürlich konnte ich nicht hoffen, das Tier durch ein solches Manöver zum Rückzug zu treiben – um ehrlich zu sein, wußte ich überhaupt nicht, was ich mit dem Schlag erreichen wollte. Jeden falls ließ ich das Seilende durch die Luft knallen, wie ein Dompteur in der Manege mit seiner Peitsche knallt, und obwohl die Be wegung überaus schnell war, zuckte eine Schere des Wesens blitz artig vor und umfing das Seil, ehe es seinen Kopf erreichte.
Ich ließ das Seil herumschnellen und warf sofort eine zweite Schlinge, woraufhin das Wesen verzweifelt zu zerren begann. Wahrscheinlich war diese Bewegung auf einen instinktiven Drang zurückzuführen, aber ich konnte nicht sagen, wann es seine Tak tik ändern und auf mich losstürzen würde. Einer plötzlichen Ein gebung folgend, machte ich mein Ende des Seils an einem der starken Geländerpfosten fest; und wie erwartet ging das Ding plötzlich mit wütendem Brüllen zum Angriff über.
Ich wandte mich zur Flucht und hoffte, daß ich mich vor den entsetzlichen Scheren retten konnte. Erleichtert atmete ich auf, als sich das Seil spannte und den entsetzlichen Körper so heftig zu rückriß, daß das Ungeheuer fast auf den Rücken zu liegen kam. Doch ich sollte mich meines Tricks nicht lange erfreuen, denn kaum hatte es sich wieder hochgerappelt, als es auch schon das Seil mit einem leisen Schnappen seiner Scheren durchtrennte und sich sofort wieder auf mich stürzte.
Offensichtlich sollte mein Aufenthalt auf der Venus nur von kurzer Dauer sein, und ich
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