Venus 04 - Odyssee auf der Venus
das Gefühl, mit dieser Göttin recht gut zurecht zu kommen, die ich nun schon beim Vornamen nennen durfte. Ich hoffte nur, daß ich auch soweit auf ihre Sympathie rechnen konnte, daß sie nicht mein Blut trinken wollte.
»Ich werde dich Carson nennen«, sagte sie. »Ich verstehe so viele Dinge nicht; auch ist es mir unverständlich, wieso ich mich gleich vom ersten Augenblick so zu dir hingezogen fühle. Ich glaube, das begann in dem Augenblick, als du › Vereinigte Staaten von Amerika‹ sagtest – das schien irgend etwas in mir anzusprechen. Ich weiß nicht warum. Vereinigte Staaten von Amerika!« Sie flüsterte die Worte, und in ihren Augen stand ein seltsamer Ausdruck, als wäre sie weit von hier.
27
Im nächsten Augenblick klopfte es an die Tür, und Ro-ton er schien auf der Schwelle.
»Habe ich nicht gesagt, daß wir allein gelassen werden wol len?« fragte die Göttin mit einer gewissen Schärfe.
»Ich komme gerade von Duma«, sagte Ro-ton. »Er möchte der Loto-El-Ho-Ganja ein Opfer darbringen.« Bei diesen Wor ten starrte er mich an, und sein Gesichtsausdruck war alles andere als angenehm.
»Wenn er darauf besteht, akzeptiere ich das«, sagte Loto. »Aber ich behalte mir das Recht vor, mein Opfer zu wählen.« Und sie sah Ro-ton so bedeutungsvoll an, daß sich sein Gesicht dunkelgrün verfärbte. »Wahrscheinlich wird es sich dabei um jemand handeln, der meine Befehle mißachtet.«
Ro-ton verschwand und schloß die Tür hinter sich, während Loto ungeduldig mit der Fußspitze wippte. »Er macht mich manchmal rasend!« sagte sie. »Sobald ich für eine Person In teresse zeige, läuft er sofort zu Duma und bringt den Jong da zu, diesen Menschen als Opfer auszusuchen. Ich werde wohl bald die Geduld verlieren und Ro-ton selbst als Opfer aussu chen. Das wäre natürlich eine große Ehre für den Hohepriester, die dieser aber kaum schätzen dürfte.«
»Ist es wahr, daß du das Blut der Menschenopfer trinkst?« fragte ich.
Sie starrte mich ärgerlich an: »Du bist anmaßend! Du nutzt meine Freundlichkeit aus, um hinter die heiligen Geheimnisse des Tempels zu kommen!«
»Es tut mir leid«, sagte ich und stand auf. »Dann muß ich jetzt wohl gehen.«
»Setz dich!« fuhr sie mich an. »Ich sage, wann du gehen darfst! Hast du kein Benehmen?«
»Ich hatte bisher noch nicht die Ehre, mit einer Göttin zu sprechen, und weiß daher nicht, wie ich mich verhalten muß.«
»Erzähle mir mehr über die Vereinigten Staaten von Ameri ka. Hat dieses Land viele Städte?«
»Tausende.«
»Und sind sie so groß wie Brokol?«
»Die meisten sind sogar größer. Eine hat fast neun Millio nen Einwohner.«
»Und wie heißt diese Stadt?«
»New York.«
»New York«, wiederholte sie nachdenklich. »New York. Es kommt mir fast vor, als hätte ich diesen Namen schon ein mal gehört.«
Wieder wurden wir unterbrochen. Ein Priester klopfte und verkündete, daß Duma, der Jong, zum Tempel käme, um der Loto-El-Ho-Ganja seinen Respekt zu erweisen. Loto blickte är gerlich auf, sagte aber: »Wir werden ihn empfangen. Rufe die Priester in der Heiligen Kammer zusammen.« Als der Priester gegangen war, wandte sie sich wieder an mich. »Ich kann dich hier nicht allein lassen«, sagte sie. »Du mußt mitkommen.«
Wir gingen in den Thronsaal, den sie als Heilige Kammer bezeichnet hatte. Loto wies mich an, an der Wand Aufstellung zu nehmen, und setzte sich auf den Thron. Unter der Führung Ro-tons marschierten die Priester herein.
Dann waren Trommelwirbel zu hören, die langsam näher kamen; schließlich trat Duma ein, gefolgt von hundert Offi zieren. Sie blieben vor der Empore stehen und verbeugten sich siebenmal. Duma stieg auf die Empore und setzte sich auf die niedrige Bank neben Loto-El-Ho-Ganja. Alle anderen blieben stehen. Es war totenstill.
Nun folgte ein Ritual, bei dem Duma alle paar Sekunden aufstand und sich verbeugte. Als das geschafft war, begann die Unterhaltung, von der ich jedes Wort verstehen konnte.
»Ro-ton sagt mir, du hättest mein Opfer abgelehnt. Das ist bisher noch nie geschehen.«
»Ich habe es nicht abgelehnt«, erwiderte Loto. »Ich habe gesagt, daß ich es auswählen würde.«
»Das kommt auf das gleiche heraus«, sagte Duma. »Ich möchte mein Opfer selbst aussuchen.«
»Das kannst du auch«, sagte Loto. »Aber ich habe ein Recht, es abzulehnen. Du scheinst zu vergessen, daß ich Loto-El-Ho-Ganja Kum O Raj bin.«
»Und du scheinst zu vergessen, daß ich der Jong von Brokol bin!« erwiderte
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