Venus allein zu Haus
schmale Gartentürchen zwängt.
4.
Was mache ich jetzt mit dem angebrochenen Abend? Ich überschlage kurz die Möglichkeiten:
- zum etwa hundertsten Mal zu Lara fahren, mich mit ihr und Manu (dem das nichts ausmacht, wiiiiirklich!) vor den Fernseher setzen und mir vorkommen wie das fünfte Rad am Wagen
- auf die Reeperbahn fahren, dort geschätzte zwei Stunden lang einen Parkplatz suchen, um dann in Bernds Albtraum-WG aus einem leidlich sauberen Becher mit abgeschlagenem Henkel ungenießbaren Kaffee zu trinken und mir anzuhören, dass ich ein Kontrollfreak bin und mir die falschen Männer aussuche (wieso ist Bernd noch mal mein Freund?)
- in mein neues »Heim« zurückkehren, dort einen Abend bei gefühlten vier Grad über Null im »Salon« verbringen, erniedrigenden Fragen über mein Privatleben ausweichen und Angela davon abhalten, meinem Vater auf dem weißen Ledersofa einen zu blasen, selbstverständlich mit der Kleenexschachtel in Reichweite (eines meiner traumatischen Kindheitserlebnisse)
- meiner reizenden Stiefschwester einen Besuch abstatten und wahrscheinlich blöd genug sein, mich für den Valentinstag nächsten Jahres als Babysitter für den kleinen Georg abkommandieren zu lassen. Schließlich werde ich an diesem Tag ja sowieso keine Verabredung haben, oder?
Für meinen Geschmack sind das alles ziemlich unschöne Varianten einer Abendunterhaltung. Ich könnte natürlich auch bei Jan anrufen und ihn anflehen, zu mir zurückzukommen. Oder ganz auf cool tun und erzählen, dass ich bereits jemand Neues kennen gelernt habe. Oder ihn ganz unverbindlich auf einen Kaffee einladen, damit wir »gute Freunde« werden können und mich auf diesem Weg wieder in sein Herz und Bett einschleichen.
»Tse, tse, tse«, macht Sophia und greift mich behutsam beim Arm. Das habe ich doch nicht ernst gemeint. Natürlich werde ich ihn nicht anrufen. Eigentlich ist mir sowieso nicht nach Gesellschaft zumute. Ich werde mich einfach ins Café Real setzen, einen Milchkaffee mit Schokosirup bestellen und ein wenig in dem Roman schmökern, den mir Lara letztens so wärmstens ans Herz gelegt hat. »Genau, Helen, das ist eine gute Idee«, bekräftigt mich Sophia in meinem Entschluss, »verbring Zeit mit dir selbst. Entspanne dich.« Jawoll, ich werde es versuchen.
Wenig später nehme ich den ersten Schluck aus der überdimensionalen Kaffeetasse, die mich an Samson aus der Sesamstraße erinnert. Hmm, lecker. Heiß und süß! Ich vertiefe mich für zwei Minuten in meine Lektüre, da steht plötzlich ein Mann vor meinem Tisch und fragt:
»Entschuldigung, ist der Platz noch frei.« Na toll! Ich will meine Ruhe haben. Andererseits kann ich ihm ja wohl
kaum den Stuhl verwehren. Wenn ich jetzt sage, es kommt noch jemand, sieht es später so aus, als wäre ich versetzt worden, und diese Demütigung könnte ich nicht ertragen. Ohne aufzublicken sage ich:
»Ja, ja, nur zu.«
»Danke. Ich hoffe, das ist okay«, sagt er und lässt sich mir gegenüber nieder.
»Jaja«, mache ich ungeduldig und lese betont konzentriert weiter. Der soll mir bloß kein Gespräch aufzwingen, dazu bin ich jetzt echt nicht in Stimmung. Halt die Klappe, halt bloß die Klappe, denke ich beschwörend und tatsächlich bleibt mein Gegenüber schweigsam. Gott sei Dank. Ich versuche, mich wieder auf Clarissa Satori zu konzentrieren, die kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in einer Scheune auf dem Gut ihres Vaters ihre Jungfräulichkeit verliert. Leider fesselt mich das Ganze nicht allzu sehr. Zudem kann ich nicht umhin zu registrieren, dass mein Tischgenosse mich anscheinend ununterbrochen anstarrt. Beharrlich starre ich weiter auf die Buchstaben. Warum zum Teufel glotzt der so? Da kommt ein Kellner an unseren Tisch und fragt:
»Hallo, was darf ich bringen?«
»Einen Martini, bitte. Und hättest du gerne einen Tequila, Helen?« Mit einem Ruck hebe ich den Kopf und wer sitzt vor mir? Natürlich. Michael. Was habe ich bloß immer für ein Pech? »Na, wie sieht’s aus?«
»Äh, nein danke, keinen Tequila, nein«, sage ich kurz und der Kellner trollt sich achselzuckend.
»So sieht man sich wieder«, sagt Michael und grinst mich mit seinen strahlend weißen Zähnen an.
»Tja«, mache ich unbestimmt und wende mich wieder meinem Buch zu.
»Hee«, macht er und stupst mit seiner Rechten gegen
meine Hand, »was ist denn? Wieso sprichst du nicht mit mir?«
»Darf ich bitte einfach mein Buch weiterlesen?«, frage ich beherrscht.
»Aber …« Ratlos sieht er
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