Venus allein zu Haus
Hochzeitsausladungen. Dem Himmel sei Dank ist das Haus leer, weil Angela mal wieder einen ihrer wichtigen auswärtigen Termine hat, wie sie mir in ihrer geschwungenen Handschrift auf einem rosa Post-it an der Kühlschranktür mitteilt. Vermutlich Fruchtsäurepeeling oder Botox-Auffrischung, denke ich gehässig, während ich mir eine Tasse Kaffee einschenke und mich am Küchentresen niederlasse. Nach den ersten paar Schlucken nehme ich todesmutig mein Adressbüchlein und das Telefon zur Hand. Ich entfalte den eng beschriebenen Zettel mit der Gästeliste und atme tief durch. Doch das säuerliche Gefühl im Magen lässt sich dadurch nicht vertreiben, ebenso wenig wie mein Pulsschlag von etwa hundertdreißig. Auch wenn ich mich damit im optimalen Fettverbrennungsbereich befinde, möchte ich doch nicht ins Telefon japsen, wenn ich der Geschäftsführerin des Kosmetiksalons, in den ich meine Kunden immer schleppe, meine, nun ja, geänderten Pläne mitteile. Der Gedanke daran lässt mich jetzt schon hyperventilieren und ich lege das Telefon erst mal wieder hin. Ganz ruhig, Helen, es wird schon werden. Um meine schwirrenden Gedanken zur Ruhe zu bringen, versuche ich es mit der Entspannungsübung, die Sabine mir vor vielen Jahren beigebracht hat. Ich schlie ße die Augen und gehe in Gedanken zu meinem »Happy-Place«. In meinem Fall ist das eine grüne Wiese mit leuchtend bunten Sommerblumen darauf. Unter einer uralten, mächtigen Eiche lasse ich mich nieder und spüre die wärmenden Strahlen der Sonne, die durch die Zweige
schimmern, auf meiner Haut. Von fern erklingt eine leise Melodie. Ich lausche und erkenne das Stück sofort. Es ist der Pachelbel-Chaconne. Das Stück, zu dem Jan und ich frisch getraut aus der Kirche herausspazieren sollten. Am 30. September. Und danach sollte es zur Feier ins festlich geschmückte Restaurant gehen, gemeinsam mit all unseren Gästen. Etwas löst sich aus der Krone des Baumes, schwebt mit leichten Schwüngen zu mir herab und landet auf meinem Bauch. Es ist die Gästeliste. Mit einem Ruck öffne ich meine Augen wieder und nehme entnervt einen großen Schluck Kaffee aus meiner Tasse. Mist! Wieso passiert mir das immer wieder? Mein Herz klopft noch wilder als vorher und die Angst schnürt mir die Kehle zu. Egal wie oft ich die »Happy-Place«-Übung ausprobiere, jedes Mal verirrt sich ein unschönes Detail in den Wipfel meiner Eiche, das mich unsanft in die Realität zurückwirft. Ich versuche es auch nur deshalb immer wieder, weil ich diese Technik gerne an meine Kunden weitergebe. Und die sind unverständlicherweise immer total begeistert davon. Ich dagegen bin genauso unentspannt wie vorher und rufe erst mal Lara an, um ihr mein Leid zu klagen. Und genau wie ich gehofft hatte erklärt sie sich sofort bereit, mir zu helfen. Anscheinend hat sie sogar schon eine Lösung parat. Ich soll heute Abend, wenn sie aus dem Büro kommt, zu ihr nach Hause kommen und die Gästeliste mitbringen, und dann »regeln wir die Sache«. Erleichtert lege ich den Hörer auf. Genau, wir regeln die Sache. Das klingt gut.
Am Abend starre ich auf die von Lara liebevoll entworfene und bereits einhundert Mal gedruckte Ausladungskarte. Auf rosafarbenem Hintergrund sieht man ein sehr schmeichelhaftes Foto von meinem Gesicht, auf dem ich mir verschmitzt grinsend auf die Unterlippe beiße und die Augen
scheinbar verlegen nach oben links verdrehe. Ich habe dieses Bild noch nie gesehen, aber seit der Autowerbung, in der sich ein Säugling mit vielsagender Grimasse an die Stirn tippt, weiß ich, dass am Computer mittlerweile alles möglich ist. Und Lara ist ein echter Profi auf ihrem Gebiet. Links über meinem Kopf schwebt eine Gedankenblase, in der sich ein Paar Stöckelschuhe der Art befinden, wie Carrie Bradshaw sie in »Sex and the City« immer trägt: Sauteuer, hellgrün, mit Pailletten und ähnlichem Firlefanz besetzt und mit Schwindel erregendem Absatz. Kurz: ein Traum. Die Gedankenblase auf der anderen Seite zeigt ein sehr unvorteilhaftes Foto von Jan, auf dem seine Haare fettig aussehen und der Ansatz eines Doppelkinns zu sehen ist, das er nun beim besten Willen nicht hat. Trotzdem erfreue ich mich kurz an dem Anblick. Außerdem sieht er im Vergleich zu mir uralt aus. In pinkfarbenen Lettern auf zartrosa Grund steht unten auf der Karte:
»ICH MUSSTE FESTSTELLEN, DASS ICH MEINE SCHUHE SORGFÄLTIGER AUSSUCHE ALS MEINEN MANN.« Ich werfe Lara einen zweifelnden Blick zu und weiß nicht, ob ich lachen oder weinen
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