Venus allein zu Haus
sind Michael und Nick, und das ist Jan«, stelle ich kurz vor und setze mich auf den einzigen noch freien Stuhl. Die Männer schütteln sich gegenseitig die Hände.
»Freut mich, euch kennen zu lernen. Dürfte ich wohl mal kurz das Badezimmer benutzen.«
»Na klar. Auf den Flur raus und dann die erste links«, kommandiert Michael. Kaum ist Jan aus der Tür, fahren zwei Köpfe in meine Richtung.
»Jan? Dein Ex? Was macht der denn hier«, wispert Nick aufgeregt und ich winde mich ein wenig verlegen.
»Was, das ist dein Exfreund?« Bei Michael brauchte der Groschen ein wenig länger, um zu fallen. Doch sofort zieht er misstrauisch die Augenbrauen zusammen. »Das kann nicht sein, Helen. Der Typ ist eindeutig nicht schwul.«
»Stimmt«, fällt es nun auch Nick auf.
»Nein, er ist auch nicht schwul.«
»Ja, aber hast du nicht gesagt …« In diesem Moment höre ich die Badezimmertür klappern.
»Ist ne komplizierte Geschichte, ich erkläre es euch später«, wispere ich, und Sekunden später steht Jan schon wieder im Raum.
»Warte, ich hole dir einen Stuhl aus dem Wohnzimmer«, bietet Nick hilfsbereit an, aber Jan winkt ab.
»Nur keine Umstände, Helen kann auf meinem Schoß sitzen.« Zwei Augenpaare beobachten höchst erstaunt, wie Jan auf meinem Stuhl Platz nimmt und mich auf seinen Schoß zieht, wobei er besitzergreifend die Hände um meine Taille legt. Wir werden mit Latte Macchiato und Toast versorgt, dann ergreift Jan das Wort:
»Es war wirklich nett, dass Helen bei euch wohnen durfte, aber sicher seid ihr auch froh, wenn ihr die Wohnung wieder für euch alleine habt.«
»Wieso?«, ruft Michael überrascht aus. »Helen, du ziehst doch nicht etwa aus?«
»Doch«, sage ich leise, »ich ziehe wieder bei Jan ein.«
»Nein«, kreischt Nick, »das gibt es doch gar nicht.« Ich zucke ein wenig verlegen mit den Schultern, während Jan zufrieden nickt.
»Und wann?«, erkundigt sich Michael.
»Noch heute.« Plötzlich wird mir das Herz ganz schwer. Und dass die beiden plötzlich ganz traurig gucken, macht
es nicht einfacher. Nick nimmt meine Hand und streichelt sie:
»Wir werden dich schrecklich vermissen, Helen.«
»Ja, ich euch auch«, sage ich und würge an dem Kloß in meinem Hals herum.
»Du musst uns oft besuchen kommen. Ich meine ihr«, fügt er nach einer kurzen Pause hinzu.
»Das mache ich bestimmt. Ich meine wir.«
»Nette Jungs«, bemerkt Jan, als wir im Auto sitzen und zu meinen Eltern nach Blankenese rausfahren. Im Kofferraum befinden sich mehrere Koffer mit meinen Klamotten. Die Kartons mit meinen sonstigen Habseligkeiten befinden sich ja immer noch im Haus meines Vaters, wo wir sie dann nach und nach abholen werden, wie Jan beschlossen hat. Dotty sammeln wir erst auf dem Rückweg ein. So haben Michael und Nick doch wenigstens Zeit, sich gebührend von ihr zu verabschieden.
»Ja, das sind sie«, seufze ich.
»Schwul?«, fragt er.
»Ja. Und zwar wirklich«, versetze ich ihm einen Seitenhieb. Er grinst verlegen, greift nach meiner Hand und küsst sie.
»Ich bin so froh, dass du wieder bei mir bist«, wechselt er das Thema und schaut mich zärtlich an. »Weißt du, als ich dich dort in dieser Karaoke-Bar wieder gesehen habe, ich konnte es einfach nicht fassen, dass ich dich einfach so habe gehen lassen.«
»Gehen lassen ist gut«, murmele ich vor mich hin, »einen Tritt hast du mir versetzt.« Jan ignoriert meine Bemerkung, vielleicht hat er sie auch gar nicht gehört.
»Weißt du, ich glaube, diese Zeit der Trennung hat uns beiden auch gut getan.«
»Tatsächlich?« Erstaunt sehe ich ihn an.
»Ja. Das ist mir auch klar geworden, als du dort auf der Bühne standst. Früher wärest du doch nie auf die Idee gekommen, in der Öffentlichkeit zu singen und dich vor aller Augen zu blamieren.«
»Na, vielen Dank!«, sage ich heftig und entreiße ihm meine Hand.
»Ich meine doch damit nur, dass du anscheinend schon lange nicht mehr so verkrampft bist wie früher. Und das ist doch gut«, redet Jan weiter und schnappt sich wieder meine Hand. »Das war ein Kompliment.«
»Hm«, mache ich unbestimmt. Ohne Lara hätte ich es auch nicht getan. Aber das braucht Jan ja nicht zu wissen. Gespannt warte ich ab, inwiefern die Trennung ihm gut getan hat und was er aus der Zeit ohne mich gelernt hat. Aber er scheint gar nichts mehr sagen zu wollen. Stattdessen dreht er die Musik lauter und pfeift zu den Klängen von »I am what I am« fröhlich vor sich hin. Ich hänge meinen Gedanken nach, bis er
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