Venus
Touristenführern Erwähnung gefunden hätte, wenn ihn nicht eines Tages ein texanischer Ölmillionär entdeckt, in ein Flugzeug gesteckt und nach Austin, Texas, gebracht hätte.
Der Texaner, der stets Stetson trug, nannte Sun Baba seinen Guruji und kassierte drei Jahre lang von Besuchern, die den Alten mit Bananen füttern durften.
Auch die Besucher nannten den alten Yogi Guruji. Sun Baba kümmerte es nicht. Meist schaute er sie gar nicht an, die undankbaren Menschentiere, denen sein Gott Shiva das Feuer und die Kultur geschenkt hatte. Es kümmerte ihn nicht, wo er saß und in die Sonne starrte. Sie war heiß, sie war hell, so oder so. Sie war überall dieselbe, auch wenn sie anders aussah. Es kümmerte ihn nicht, dass man ihn für Geld vorführte, dass man ihn Guruji nannte. Es kümmerte ihn nicht, dass er die Sprache dieser Menschen nicht verstand, er hörte sowieso nicht hin.
Manchmal legte sich jedoch ein eiserner Reif um sein altes Herz. Dann vermisste Sun Baba die Stadt des Lichts, wo die niemals verlöschenden Feuer der Reinigungbrennen, wo die Wasser des heilenden Ganges fließen, sein Zuhause. Er wollte zurück, zur Mutter Ganga, in der er monatlich seine zwei Meter langen verfilzten Haarzöpfe gewaschen und ausgewrungen hatte. Eines Tages macht er sich, fast hundertjährig, auf den Heimweg. An Gangas Ufer würde man ihn verbrennen. In Gangas Fluten würde man seine Asche streuen. Er fixierte die aufgehende Sonne, die er nur noch schemenhaft wahrnahm, weil er inzwischen fast erblindet war. Nach Osten würde er gehen, dorthin, woher er gekommen war. Und wenn er nur lange genug der Sonne entgegenliefe, würde er Varanasi erreichen und seinen Körper verlassen können, denn es war an der Zeit.
Er lief immer geradeaus, ohne einen Penny in den Taschen, ohne Landkarte, ohne Hilfe. Er lief fast zweitausend Meilen und erreichte nach drei Monaten, inzwischen von Fernsehkameras und einer wachsenden, langhaarigen, bärtigen Schülerschar begleitet, New York. Er hatte gerade am Battery Park sein morgendliches rituelles Feuer entzündet, als über ihm ein Flugzeug in eines der vielen hohen Häuser flog. Ringsrum herrschte Verwirrung und Geschrei. Alle starrten auf das qualmende Haus.
Nur Sun Baba starrte in die Sonne. Er starrte in die Sonne, als das zweite Flugzeug in das zweite Hochhaus flog, und auch, als beide Hochhäuser längst zusammengebrochen waren. Er saß dort, wie eine Statue, vollständig mit weißem Staub bedeckt. Die unaufhörlich rinnenden Tränen bahnten Schneisen in sein Gesicht, und er hörte nicht auf, in die Sonne zu starren. Im Chaos verloren die Fernsehteams und Schüler Sun Babas Spur und auch das Interesse.
Schließlich wurde er, wie Kuki, wie Venus, wie vieleandere Gestrandete, vom Bliss Swami aufgelesen, so wie man herrenlose Katzen aufliest und Vögel mit gebrochenen Flügeln.
Gleich nach der ersten Nacht verließ Sun Baba das ihm zugedachte Zimmer in God’s Motel und suchte seinen Weg zum Licht, erklomm die Stufen zum Dach der Kirche zum Heiligen Franz, dessen gleißende Helligkeit und glühende Hitze ihn an seine Heimat erinnerte. Ein alter Spruch fiel ihm wieder ein. »Du kannst Kashi verlassen, aber Kashi wird dich nicht verlassen.« So wurde er auf dem Kirchendach heimisch.
Venus betrachtet ihn. »Er weint.«
»Der weint nicht. Dem tränen nur die Augen. Vom In-die-Sonne-Gucken, der Qualm stört ihn gar nicht. Den stört nix, hast du ja gemerkt.« Mau macht eine triumphierende Geste mit der Zigarette. »Anyway, so kannst du jedenfalls das Haus nicht mehr verlassen«, sagt er, »eine Verkleidung muss her, so lange bis – sich die Sache aufgeklärt hat.«
Sie sieht ihn dankbar an, lässt sich von ihm hochziehen und zurück in ihr Zimmer führen. Ein Freund ist geboren. Der Dicke mit der dicken Brille macht ihr Hoffnung mit diesem Satz. Die Sache wird sich aufklären. So wird es kommen. Zweifelsohne.
»Soll ich einen Privatdetektiv beauftragen?«, fragt sie.
»Hast du Kohle?«, fragt Mau zurück. Sie seufzt und wirft die Zeitung auf den Tisch. »Hundertachtzig Dollar.« Mau lacht tuntig auf.
»Das wird nicht reichen, meine Liebe!«
»Nicht?«
»Ganz und gar nicht. Aber das wird auch nicht nötig sein! Es wird dir sicher bald alles wieder einfallen.«
Genau, denkt sie, und Mau steigt erneut in ihrem Ansehen. Es wird ihr alles wieder einfallen, wie es wirklich war, wer es wirklich war, und dann kann sie zur Polizei gehen und alles erklären.
»Erst mal«, sagt Mau, der sich
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