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Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
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springt auf, stürzt zum Waschbecken, zerrt unter der Spüle Insektenvertilgungsspray hervor, verspricht der Kakerlake, sie könne ihn in ihrem nächsten Leben töten, und läuft giftsprühend dem fliehenden Tier hinterher. Die Intentionen sind verschieden, aber beider Motorik, die des Opfers und die des Täters, weist gewisse Parallelen auf.
    Kuki, die einen Großteil von Manhattans Laternenmasten mit pinkfarbenen Handzetteln für »God’s Motel« beklebt hat, läuft klingelnd auf den Verkehrsunfall zu. Sie sieht einen älteren Mann aus dem vorderen Auto klettern, auf sie zutorkeln, sieht seine Beine einknicken, sieht, wie er niedersinkt, auf die Knie, auf die Stirn, als würde er den Göttern Respekt erweisen wollen. Siehockt sich vor den stark schwitzenden Mann, legt ihm ihre Hände auf den kahlen, mit orientierungslosen Haarsträhnen beklebten, äußerlich unversehrten Kopf, ruft die Göttliche Mutter Durga an und bittet sie, ihre heilende Shakti fließen zu lassen.
    Es dauert keine zwei Minuten, weder Polizei noch Notfallwagen sind bisher in Sicht, dass Daniel H. Boone die Augen aufschlägt, geweckt von leichten Stromschlägen, die er in beiden Schläfen spürt, von Ameisen, die auf seinen Händen herumspazieren zu scheinen, von einem harten Pochen unter seinem Brustbein. Wo bin ich?, wird er gleich fragen, denken wir, doch Boone überrascht uns.
    »Ist das Kleid von Marc Jacobs?«, fragt er und erwischt Kuki damit auf dem falschen Fuß, denn zum einen ist sie im Geiste ganz bei der Göttlichen Mutter, zum anderen hat sie noch nie etwas von Marc Jacobs gehört.
    Bliss Swami hat sich inzwischen einen Kamillentee aufgegossen und nimmt am Tisch Platz. Für Venus hat sich das Warten gelohnt. Ihr Blick liegt mit Wohlgefallen auf seinem knarzigen Schädel. Die Stoppeln auf Kopf und Gesicht sind gewachsen, sie wachsen straff gebürstet aus ihm heraus. Englischer Rasen. Einmal im Monat, das wird sie noch lernen, rasieren die Mönche ihre Schädel mit schartigen handgeschliffenen Küchenmessern, denn von Rasierschaum, Klingen, Rasiermessern und Haarschneidemaschinen wollen sie nichts wissen, als lebten sie noch im Zeitalter der Jäger und Sammler.
    Sie sind nicht allein, unser Romeo und unsere Julia in spe. Toga macht sich im Hausflur zu schaffen. Mau stöbert den Kühlschrank nach Essensresten durch. Benito ist leider ebenfalls auf einen Schlaftrunk hinuntergekommenund lässt sich neben Venus und dem Swami am Tisch nieder. Alles, was Venus über Benito weiß, hat sie von Kuki erfahren, die zwar ungern Essen, aber gern ihre Meinung über Dritte teilt, vor allem, wenn diese abwesend sind. Benito sei langweilig. Benito sei depressiv. Benito sei Pain in the ass .
    Nun erfährt Venus mehr über den Italiener mit der tief ins Gesicht gezogenen Wollmütze, die an einigen Stellen bereits aufdröselt. Dass er seit einem halben Jahr hier lebt. Dass er kein Geld mehr hat. Dass alles sinnlos ist. Dass er einen Stein in sich trägt. Jedes Wort eine Anklage, vorgetragen in seinem verbrockten Italo-Englisch.
    »Ich wollte, ich wäre tot«, sagt Benito. In seinen feuchten Bernhardineraugen flackert der Schein der Deckenlampe wie der letzte Lebensfunke. »Ich sollte das vielleicht mal in die Hand nehmen.«
    »Du sprichst von Selbstmord?«, fragt der Swami. Er hebt die Brauen, behält aber sein Lächeln im Gesicht. Benito hebt die Schultern, aber sie sacken gleich wieder nach unten, niedergedrückt von dem Stein, den er in sich trägt.
    Stirb doch, denkt unsere Venus, und versau mir nicht mein Tête-à-Tête. Der Swami indessen sieht sich in der Pflicht für eine Predigt, obwohl Predigten eigentlich in Togas Fachgebiet fallen. Doch Toga zieht es vor, mit vollem Körpereinsatz die Treppenstufen zu schrubben, allerdings wohlweislich in Hörweite.
    »Die Seele des Selbstmörders schlüpft in einen Geisterkörper«, souffliert er von draußen, als der Swami nicht gleich spricht. Benito verdreht die Augen und zieht eine Grimasse.
    »Der Geist hat noch alle menschlichen Bedürfnisse«,ergänzt Bliss Swami. »Er hat Hunger, er wird von Lust gequält …« hier macht er tatsächlich ein etwas gequältes Gesicht, findet Venus »… er will schlafen, er will sich amüsieren, aber er kann diese Bedürfnisse nicht befriedigen.«
    Benito lacht böse auf. »Ihr seid ja wie die Katholiken. Alles verteufeln, was Spaß macht: wichsen, saufen …«
    »Selbstmord«, ergänzt Mau kauend.
    »Du, komm lieber her mit deiner göttlichen Flöte«, ruft Benito.

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