Venus
Dieser ergreift sie und drückt unverhältnismäßig fest zu. Baula hält nicht viel von Frauen, vor allem, wenn sie jünger sind, schlanker sind und in ihrem Revier rumpfuschen. Venus hat Mühe, unter dem Händedruck nicht zu schreien. Arjuna blickt stolz zwischen den beiden appetitlichen Geschöpfen hin und her, die unterschiedlicher nicht sein können. Die eine hat zu viel Farbe und zu viel Fleisch, die andere von allem zu wenig; die eine seine Ehefrau, die andere seine Untergebene und womöglich potenzielle Geliebte, wer weiß? Zweifelsohne ist diese Überlegung Arjunas rein theoretisch, nicht nur, weil unsere Venus bereits anderweitig orientiert ist, sondern auch, weil er allein mit Baulas sexueller Zufriedenstellung in den Miesen ist.
Arjuna
Arjuna Campos Montes de Oca wurde geboren in Trinidad, wuchs aber in Santiago de Cuba auf. Den Namen Arjuna – so heißt ein berühmter Krieger aus den Vedischen Schriften – hat er seiner Mutter zu verdanken, einer Tänzerin halb indischer, halb spanischer Abstammung.
Doch Arjuna interessierte sich weder für den Hinduismus der strengen und hypernervösen Mutter noch für die Arbeit seines einsilbigen Vaters als Santeria-Priester. Er zog es vor, seine ärmliche, vollkommen spielzeuglose Kindheit am Parque Baconao, dem schönsten StrandSantiagos, zu verbringen, aus nassem weißem Sand Tropfsteinhöhlen für Vogelspinnen zu bauen und Touristen zu beklauen. Rückblickend betrachtet Arjuna diese Zeit als »Zeit des Schlafes«.
Eines Tages nahm der nigerianische Vater seinen widerstrebenden Sohn zu einer geheimnisvollen Zusammenkunft mit. Beim immer schneller und lauter werdenden Rhythmus der Trommeln zu wilden karibischbarbarischen Klängen, die ihm besser gefielen als die endlosen gebetsmühlenartigen Lieder der Hindus, sah er seine sonst vollkommen normalen Nachbarn, Verwandten und Freunde sich plötzlich merkwürdig gebärden. Sie stampften wild auf, schnappten nach Luft, schrieen wie Irre, in ihren Augen war nur noch das Weiße zu sehen, Schaum stand ihnen vorm Mund, manche wurden ohnmächtig. »Omi tutu«, sangen sie. »Omi tutu! Ashe O! Ashe O!«
Der Zehnjährige staunte, warf seinem Vater fragende Blicke zu, aber dieser benahm sich auch nicht besser. Er sang vor, die anderen sangen nach, es war ein einziges heißes Aufbäumen der Leiber, hingewendet zu einer Arjuna unbekannten höheren Macht, deren Wirkung er von einem Moment auf den anderen mit ganzer Kraft ersehnte.
Mit Erfolg. Zwei weiße Tauben flatterten plötzlich über der Menge, eine setzte sich auf Arjunas Schulter. Sogleich fiel auch er in Trance. Chango, der Gewittergott, fuhr in ihn hinein. Arjuna sprang und tanzte und brüllte und schüttelte die Doppelaxt, die sich plötzlich, niemand wusste, woher, in seinen Händen befand. Als er wieder zu sich kam, wurde ihm höchster Respekt zuteil. Die Tauben und die Trance waren Zeichen. Die Götter hatten ihn auserwählt.
Das war am 31. Dezember 1958 gewesen. Arjuna weiß das Datum deswegen so genau, weil am nächsten Tag Fidel Castro vom Balkon des Rathauses in Santiago die sozialistische Republik Kuba ausrief und weil sich auch auf Castros Schulter eine weiße Taube setzte. Für Arjuna war dies Grund genug, gegen Castro, der nun in Santeria-Kreisen ebenfalls als Auserwählter galt, ernsthafte Konkurrenzgefühle zu entwickeln, sodass er sich zuweilen sogar hinreißen ließ, wüste Verwünschungen gegen den Präsidenten auszustoßen, jedoch ohne Erfolg.
Sein Vater lehrte ihn nun Lieder, Gebete, Beschwörungen, führte ihn ein in die Riten und Geheimnisse seines Volkes. Schließlich erhielt Arjuna die Einweihung zum Santeria-Priester und wurde ein angesehener Heiler, ein Bekämpfer der schwarzen Magie und des bösen Blicks. Nicht eine Sekunde schwankte er zwischen dem Hindu-Glauben seiner Mutter, der vorschrieb, sich einem Guru und mehreren Göttern total zu unterwerfen, und der Praktizierung des Voodoo-Kults, der ihm zutiefst demokratisch und gerecht erschien. Voodoo war der kurze Dienstweg zu Gott, Gott fuhr persönlich in die betenden und tanzenden Menschen hinein, Vermittler wie Guru und Papst wurden vollkommen überflüssig. Arjuna brachte es sogar zu Landesruhm, als er einmal den kubanischen Kulturminister von einem ominösen Bauchschmerz befreite. In seinem weltlichen Leben wurde er ein hervorragender Koch und arbeitete im 5-Sterne-Restaurant des Riviera-Hotels, bis er seiner Mutter am Sterbebett versprach, sich um deren kranken Bruder in New York zu
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