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Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
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Mau macht ein schnippisches Geräusch.
    »Aber macht dir überhaupt irgendwas Spaß?«, fragt Venus mit einem Seitenblick auf den Swami, dem sie, komme, was da wolle, beizustehen gedenkt.
    »Es gibt keinen Gott oder Krishna oder Buddha oder Allah, wie immer der schwule Bruder hier heißt«, sagt Benito und verzieht das müde Shar-Pei-Gesicht, »das ist nachgewiesen.«
    »Es gibt Gott, du weißt es, du hast es nur vergessen«, ächzt Toga mit vom Schrubben verzitterter Stimme aus dem Treppenhaus. Es herrscht einen Moment lang Stille.
    Dann wendet sich Benito Venus zu: »Sag doch auch mal was, Prinzessin auf der Erbse, du bist doch todsicher Atheistin.«
    Venus schüttelt erschrocken den Kopf. Sie möchte weder eine Prinzessin auf der Erbse sein noch in Glaubensfragen verwickelt werden. Alles, was sie möchte, ist dem Swami gefallen. Am liebsten würde sie sich – im Falle eines Angriffs, den sie fast herbeisehnt – schützend vor den Geliebten werfen und den frustrierten Mützenträger wegbeißen. Aber der Angriff bleibt aus. Sie hat das Gefühl, sie sollte etwas zum Gespräch beisteuern.
    »Es gibt so viel Schönes auf der Welt«, hört sie sich leise sagen. Der Swami sieht sie wohlwollend an.
    »Ach ja?«, sagt Benito aggressiv, »was denn?«
    Arme Venus! Sie ist allzu schlecht ausgestattet für Fangfragen wie diese. Ach, stammelt sie, tatsächlich errötend, da wisse sie gar nicht, wo sie anfangen solle. Da gäbe es so viel, zum Beispiel … Hilfesuchend sieht sie Bliss Swami an. Das Blau seiner Augen macht sie gänzlich stumm. Er denkt gar nicht daran, ihr zu Hilfe zu kommen. Oder er traut sich nicht. Oder er traut sich zwar, weiß aber nichts. Er verschränkt seine Finger ineinander und harrt geduldig ihrer Antwort. Sie betrachtet seine Fingernägel. Kurz und schaufelförmig sind sie, mit großen runden Halbmonden. Ihr fallen zum wiederholten Male seine riesigen Hände auf. Sie sehen weich und stark aus. Sie könnten mit Leichtigkeit ihre Taille umschließen, sie könnten die ganze Venus hochwerfen und wieder auffangen. Sicher. Zärtlich. Warm. Weich.
    Der Swami selbst scheint seinen Händen keine Beachtung zu schenken. Genauso wie er ihrer Schönheit, ihrer Liebe, ihrer Misere keine Beachtung schenkt. Vermutlich hat er noch nie darüber nachgedacht, ob seine Hände schön sind oder nicht. Nie zieht er seinen strammen Bauch ein. Er ist frei von Posen dieser Art. Er kümmert sich nicht um Äußerlichkeiten. Das imponiert ihr einerseits und stellt sie andererseits ins Abseits. Alles, was sie hat, sind Äußerlichkeiten. Innen herrschen Notstand und Chaos.
    »Wenn wir eines natürlichen Todes sterben«, sagt der Swami langsam und bedächtig und in einem Tonfall, der das Reden nicht zum Hauptziel hat, »werden wir wiedergeboren und wiedergeboren und wiedergeboren, tausend Mal.«
    »… und öfter«, ergänzt sanft vom Treppenhaus Toga.
    Unsere Venus nickt. Immerhin ist sie erst kürzlich wiedergeboren worden.
    »Das ist doch spannend«, sagt sie. »Ich hätte gern tausend Leben.«
    Bliss Swami und Benito lächeln müde, als seien sie schon beim neunhundertneunundneunzigsten angelangt.
    »In dieser Welt zu leben, in diesem Körper zu leben, heißt zu leiden«, sagt der Swami. Es klingt freundlich, aber abschließend.
    Die beiden anderen nehmen zur Kenntnis, dass Leben Leiden ist und dass sich jeder irrt, der gerne lebt. Der eine nickt abwesend, die andere erstaunt. Toga hat eben seine Putzarbeit beendet und betritt mit wehenden weißen Gewändern das Zimmer. Er erliegt dem Bedürfnis, das letzte Wort zu haben, auch wenn sein Einwurf etwas zusammenhanglos erscheint.
    »Wir alle sind Sünder«, sagt er.
    »Nur der auf dem Dach nicht«, reimt Mau munter, »der ist Inder.«
    Über seinen Kalauer bricht er in kreischendes Gelächter aus, in welches erst Benito, dann alle anderen einfallen, sogar wir. Nur Toga bleibt ernst. Er schließt die Augen, hält theatralisch die stark behaarten Hände gen Himmel und brabbelt ein Gebet.
    »Ich möchte euch nun bitten, euch jetzt auf eure Zimmer zu begeben«, haucht er. Ohne Widerworte löst sich die Runde auf.
    Sollte ich die Ratte wirklich geschlachtet haben, denkt sie auf dem Weg in ihr Zimmer, dann mache ich das jetzt wieder gut. Ich büße. Jeder gebackene Muffin, jedes geputzteKlo, jede Nacht in der Rabbit-Box wiegt einen Messerstich auf. In pathetische Gedanken wie diese vertieft, stolpert sie über einen lebendigen Körper. »Sorry!«, sagt ein dünnes Stimmchen. Winter

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