Venus
zweifelsohne einen perfekten Plan, und ein kleiner unbedeutender Mensch wie er ist sicher nur zu blöd dazu, ihn zu verstehen. Er wickelt sich in sein Gewand und wirft majestätisch die Schärpe über die Schulter.
Indessen erkundet Daniel H. Boone in dem Bestreben, Traum von Wirklichkeit zu unterscheiden, ob die Mönchsgesänge Teil einer Halluzination sind, und wenn nicht, wo verdammt noch mal sie herkommen. Er kann keinen Lautsprecher finden und geht dem Klang nach. Er kriecht ächzend unter den Schreibtisch, wobei die Kmart-Hose etwas nach unten rutscht.
Als Toga das Zimmer betritt, sieht er Boones Gesäßritze unter seinem Schreibtisch hervorragen. Himmel, hilf, noch ein Verrückter! Toga schickt einen vorwurfsvollen Blick nach oben. Nicht dass er Gottes Geschenke nicht zu würdigen wüsste, aber was zu weit geht, geht zu weit.
»Herzlich willkommen bei den Glücklichen Sklaven Gottes«, sagt er salbungsvoll. Sein Blick wandert an der Gestalt, die sich nun vor ihm aufrichtet, erst herab, dann wieder hinauf. Boone steht ächzend mit hochrotemKopf vor ihm, während die drei langen Haarsträhnen, die sonst über seiner Glatze kleben, ihm wie Lämmerschwänze in die Augen hängen. Toga ist fast einen Kopf kleiner als Boone, und der ist schon klein.
»Ich wollte nur wissen, wo die Lautsprecher sind«, sagt Boone schüchtern.
Toga will die Sache kurz machen und wieder ins Bett. Selbstredend sind vor Gott alle Menschen gleich, doch davon abgesehen bezweifelt Toga, dass dieser Mann imstande ist, die Monatsrate eines Temporären zu zahlen. Er zeigt auf den zerknüllten Flyer, der neben der fettigen Muffintüte auf dem Tisch liegt. »Wie ich sehe, sind Sie auf unsere Anzeige hin gekommen.«
Boone starrt ihn an. Einen Engel hat er heute schon getroffen, aber dieser hier, mit dem Bart und den weißen wehenden Gewändern, sieht wie ein Erzengel aus. Ein Erzengel im Taschenformat.
»Ja. Nein. Ach … das … das ist Ihr Haus?«
Merkwürdige Zufälle gibt’s. Oder ist das keiner? Boone denkt an seine übersinnliche Muhme Annie. Die hat nämlich immer gesagt: Ein Zufall, das ist, wenn dir das Schicksal etwas in den Schoß wirft. Boone erinnert sich erstmals seit Jahren an diesen Satz, und er denkt erstmals überhaupt darüber nach.
»Wir sind so voll …«, intoniert Toga sein Standardgespräch.
»Ich suche auch nichts für heute Nacht«, sagt Boone.
»… voll mit relativen Wahrheiten«, fährt Toga fort. »Wie das Wetter ist, wie spät es ist, wie der Präsident heißt …«
»Wie spät ist es eigentlich?«, fragt Boone. Toga zeigt stumm auf die neben dem Jesusbild hängende Bahnhofsuhr. »Dabei ist die relative Wahrheit unnütz, morgenschon nicht mehr wahr«, sagt er. »Deshalb ist sie ja relativ.«
Boone versucht, die Uhrzeit zu erkennen, aber das Zifferblatt verschwimmt vor seinen Augen. Er verspürt einen leichten Brechreiz.
»Kennen Sie die absolute Wahrheit?«, fragt Toga. Boone schweigt beduselt. Toga legt die Hand auf sein Herz. »Ich bin sicher, in Ihrem Herzen wissen Sie sie.«
Boone überlegt, was er sagen soll. Schließlich fällt ihm wieder ein, wie er hierher gekommen ist. »Ihre … indische … Kollegin war so freundlich, mich hierher zu führen, um einen Tee zu trinken und etwas … auszuruhen.«
»Tee«, wiederholt Toga hektisch, »Tee … Tee …«, und da ihm Gastfreundlichkeit zwar kein Bedürfnis, aber eine Pflicht ist, rast er wie aufgezogen im Zimmer umher, um die sofortige Teeherstellung in Angriff zu nehmen.
»Nein, danke«, sagt Boone und zeigt auf seine dampfende Tasse. »Ich hab schon. Das ist also God’s Motel?«
»Ja!« Toga nickt feierlich. »Ich möchte Sie aber darauf aufmerksam machen, dass wir eine spirituelle Gemeinschaft sind.«
»Wie der Name nahe legt«, murmelt Boone. Das weiße Männchen hat für ihn plötzlich nichts Erzengelhaftes mehr. Es ist nichts als ein hyperventilierendes Pelztier, durch eine unsichtbare Treibjagd aufgeschreckt und leicht exzentrisch.
»Wer hier wohnt, muss sich an Regeln halten.«
»Selbstverständlich«, murmelt Boone, der nun wieder sitzt und sich von seinem stechenden Kopfschmerz gedanklich weitgehend außer Gefecht gesetzt fühlt.
»Mir schwebt da gerade so etwas vor. Haben Sie spezielle Monatsraten?«
Wusst’ ich’s doch, denkt Toga bei sich, wieder ein Maul mehr zu stopfen. Laut sagt er:
»Wenn Sie zwei Stunden am Tag für die Gemeinde arbeiten, kostet ein Monat achthundert Dollar.«
»Das ist«, murmelt Boone, »gar nicht
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