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Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
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auf Arjuna wartet oder weil sie Arjunas Frau kennen lernen will, sie hatte vielmehr gehofft, den Swami hier zu treffen.
    Mit zusammengekniffenen Augen unter dünn gezupften Brauen sieht sie neben Arjuna den Stiefeltruthahn stehen. Ihr Blick ist merkwürdig schief, ein Auge scheint in Richtung Himmel zu schauen, eines in Richtung Hölle. Die Frau sieht aus, als könne sie ihren Ehemann mühelos verschlucken. Komische Paarungen gibt es, denkt Venus.
Baula
    Sie stammt aus der South Bronx. Ihr Vater war das, was man in Amerika »White Trash« nennt, und er starb auch einen passenden Tod: Im Vollsuff geriet er unter ein Auto. Baulas Mutter ist römisch-katholische Puerto-Ricanerin und arbeitete als Vollzugsbeamtin auf Ryker’s Island, bis sie, wie in diesen Berufen üblich, mit 45 in Frühpension geschickt wurde. Baula besuchte die Schule eher sporadisch und ging schon mit 16 das ersteMal anschaffen. Was nach Milieuschaden und Geburtspech aussieht, hat ihr jedoch nie spürbare Probleme bereitet. Sie mag Sex, sie kann den Hals nicht voll kriegen davon, und in der Schule hat es ihr weder jemals gefallen, noch hat sie dort jemand vermisst, als sie eines Tages gar nicht mehr erschien.
    So war es für sie eher eine glückliche Fügung, schon früh ihr Hobby zum Beruf machen zu können. Man kann sich vorstellen, dass sie als Prostituierte sehr fleißig war. Da sie die Vereinigten Staaten nie verlassen hat, lebte sie ihr Fernweh aus, indem sie sich auf ausländische Freier kaprizierte. Sie reiste mit dem Geschlechtsteil. Ihren Namen Baula soll sie vom Sex-Guru Bhagwan erhalten haben, dem sie zwei Jahre lang in Oregon folgte. Über diese Periode ihres Lebens hält sich Baula jedoch bedeckt, vielleicht weil man ihr nachsagt, sie sei in einen Mordanschlag auf Bhagwan verwickelt gewesen.
    Genau nach zwanzig Dienstjahren im horizontalen Gewerbe beschloss sie überraschend, »anständig« zu werden, was allerdings nur hieß, dass sie es nicht mehr für Geld machen wollte. Sie macht es aber doch noch für Geld, denn sie verdient ihren Lebensunterhalt inzwischen mit Green-Card-Ehen.
    Zum Zeitpunkt unserer Geschichte ist Baula 37 Jahre alt, steht gut im Futter, trägt gern Rindsleder und blickt mit ihrem merkwürdig verqueren Blick auf vier Ehen zurück, für die sie jeweils 20000 Dollar kassiert und – ihrer nymphomanischen Veranlagung Rechnung tragend – den größtmöglichen sexuellen Einsatz des jeweiligen Partners verlangt hat. Das Geld hat sie in Designerkleidung und Designerdrogen investiert. Ihre mehr als viertausend Freier sowie die vier Ehemänner – einschwuler Russe (der von ihr Gebrauch machte, als sei sie ein Mann), ein aidskranker Araber (lehnte aus religiösen Gründen Oralsex ab), ein konvertierter Jude aus einer deutschen Nazi-Familie (der perverseste von allen) und ein steinreicher Hongkong-Chinese (der sowohl höflichste als auch ausdauerndste Liebhaber, den sie jemals hatte) – haben ihr einen Überblick über Religionen, Schwanzgrößen und Liebestechniken der Welt verschafft und überdies in ihr ein erotisches Faible für ordinierte Anhänger restriktiver Religionen erweckt.
    Ansonsten steht Baula allen Glaubensrichtungen leidenschaftslos gegenüber. Sie würde sich vermutlich als Agnostikerin bezeichnen, wenn sie intellektuell dazu imstande wäre. Nur Hexerei ist ihr unheimlich. Als Kind hatte sie einmal auf dem Weg zur Sonntagsmesse tote ausgeblutete Hühner vor der Kirche liegen sehen. Ihre Mutter sagte ihr, das sei Santería-Zauber, Voodoo, schwarze Magie.
    Baula hatte von diesem Tag an nie wieder Hühnerfleisch angerührt. Als sie bei ihrem ersten Besuch in der Tempelkirche zum Heiligen Franz herausfand, dass Arjuna, ihr viertausendundfünfter Partner und fünfter Ehemann, Santeria-Priester ist, sah sie rot. Sie warf kurzerhand alle Utensilien, die sie auf seinem Altar und unter seinem Bett fand, in den Müll. Sie riss die Ketten und Amulette von seinem Hals und verpasste dem fast 60-Jährigen, der ihr kaum bis zur Schulter geht, eine schallende Ohrfeige.
    Da Arjuna Küchenchef ist, betrachtet sich Baula automatisch als Küchenchefin, wäre ihr Mann Arzt, hielte sie sich automatisch für Frau Doktor, Scheinehe hin oder her. Sie schwingt die Knute über dem Personal, das ihr auch sexuell zur Verfügung stehen muss, dennArjuna, so weit ihre ungefragte Auskunft für jedermann, kann sie unter anderem anatomisch nicht zufrieden stellen.
    Widerstrebend streckt unsere Venus dem Stiefeltruthahn die Hand hin.

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