Venus
bestreicht man das Euter und kratzt es mit dem abgebissenen Fuß.
Immerdar
Deine Bringfriede«
Sie liest den Brief gerührt, wieder und wieder. Nachts träumt sie vom Scheich. Ramzis Gesicht ist ganz nah vor ihrem. Seine gelben Augäpfel leuchten. Eine dünne, gespaltene Zunge fährt aus seinem verwitterten Mund, in ihre Nasenlöcher, in ihre Ohren, in ihre Augen. Sie spürt die scharfe Zunge wie ein Reibeisen auf ihren Lidern, Wangen, Lippen.
Schweißnass wacht Venus auf. Heilfroh, keinen haarigen Maulwurffuß im Mund zu haben und keine raue Scheichzunge. Den Rest der Nacht wälzt sie sich herum und nimmt ihre quälenden Gedanken wieder auf. Hat sie einen Mann? Hatte sie viele Männer? Mag sie Sex? Sie versucht, sich Toga und seine Frau beim Sex vorzustellen. Es gelingt nicht. Sie versucht, sich den Bliss Swami und sich selbst vorzustellen. Es gelingt nicht. Schließlich stellt sie sich einfach nur Körper vor, anonyme, nackte, schwitzende Körper. Sie berührt ihren eigenen Körper, der auch nackt ist und auch schwitzt. Zum ersten Mal fehlen ihr Dinge von früher, sie fehlen ihr körperlich, Erfahrung, Erinnerung, der Zugriff auf Phantasien, Erlebnisse, auf schöne und wilde und leidenschaftliche Momente eines gelebten Menschenlebens.
In der Morgenzeremonie kann sie die müden Augen nicht von Toga und seiner Frau lassen. Sind sie verliebt? Warum gibt ein Mann seinen Mönchsstatus auf, wenn er nachher trotzdem keinen Sex haben darf? Toga wäre vielleicht der neue Guru geworden, aber er hat sich für die Ehe entschieden. Gibt es einen anderen Grund dafürals Liebe? Einmal sieht sie, dass er im Dunkeln ihre Hand hält. Seine kleine linke hält ihre kleine linke, sie haben ja beide winzige Hände, ihre beiden rechten stecken jeweils im Gebetssack. Es gibt keinen Grund, in einer so unbequemen Pose zu verharren, außer – Liebe. Liebe? Oder Gewohnheit? Ist Gewohnheit ein Grund? Oder Besitzdenken? Aber was findet sie an ihm, dem ehrgeizigen, putzsüchtigen, übereifrigen Männchen? Und was findet er an ihr, diesem stummen, schmucklosen, verhuschten Wesen? Und ist Liebe jemals für Außenstehende plausibel?
Es ist eine Hindu-Zeremonie, die traditionell nach der gebetssackwühlenden Brabbel-Meditation mit einem Kirtan beginnt, dem anschwellenden Dauergesang eines Mantras, bei dem es einen Vorsänger und den Chor gibt. Aber heute ist es nicht Togas helle Stimme, die das Lied anstimmt, nicht der Bliss Swami gibt diesmal falsch und laut den Vorsänger, auch nicht Kuki, die mit erhobenem Kopf und den entblößten weißen Schneidezähnen wie ein dicker Hamster aussieht, der die Sonne ansingt. Es erklingt eine andere Stimme zu den anfangs leisen Schlägen der Trommel.
Erst weiß Venus nicht, woher die Stimme kommt. Sie ist so klar und rein, so außerirdisch, als sänge eine Sirene, es ist, als hätte jemand ein großes mildes Licht entzündet. Mit dem Gesang ändert sich alles. Das Licht wird wärmer, die Blumen beginnen, übermäßig zu duften, der Weihrauch betäubt die Sinne.
Venus sieht sich um, sieht Mund um Mund an, wessen Lippen sich bewegen. Da! Sie muss zweimal hinsehen. Es ist Maria Magdalena, die singt. Die Stumme singt, über den Saum eines Vorhangs gebeugt, an dem sie Ausbesserungsarbeiten vornimmt, sie singt ganzbeiläufig unter ihrem verwaschenen rosa Kopftuch, sie singt in ihren raschelnden Rockschoß hinein, und ihr Gesang berührt Venus’ Herz. Venus schließt die Augen, die Frauenstimme hüllt sie ein wie ein warmes wollenes Tuch. Ihre Haut kräuselt sich, besonders bei den hohen Tönen. Tränen treten in ihre Augen. Sie denkt, wenn Bringfriede das jetzt hören könnte, die würde bestimmt nicht mehr schreien. Auch die anderen scheinen ergriffen, Kuki hat beide Hände auf ihr Herz gelegt und rutscht klingelnd auf Knien näher an Maria Magdalena heran, wie eine Nixe, ihre Füße wie einen Fischschwanz, ihre schwarzen Haare wie eine Schleppe hinter sich herziehend. Der Swami hält die Augen geschlossen, das herrische Kinn an die Brust gedrückt, die rechte Hand ruht bewegungslos im Gebetssack. Venus sucht Benitos Blick, aber der stiert nur übellaunig vor sich hin. Er fühlt sich, wie immer, hohl, müde, erschöpft. Er langweilt sich. Er findet diesen stundenlangen Hindusingsang langweilig. Bist du denn taub, denkt Venus, möchte sie quer durch den Saal rufen, hörst du nicht, wie schön das ist?
Das Frühstück wird überschattet von einem Streit. Benito löst ihn aus, indem er hereinschlurft, sich
Weitere Kostenlose Bücher