Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Venus

Venus

Titel: Venus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Buschheuer
Vom Netzwerk:
verfilzten Haaren bedeckten, sonnenverbrannten Gestalt hinunter. Sie unterdrückt einen Aufschrei. Der schmutzige Lendenschurz klappt einen Spaltbreit auf. Quer durch seinen schrumpeligen alten Penis ist ein Pflock gestoßen. Sie starrt auf das gepfählte Geschlechtsteil. Durch Bliss Swamis Schwanz gehört auch ein Pflock, armdick, mit einem Schloss davor, ein Keuschheitsgürtel. Oder gleich ab mit dem Ding.
    »Hat … das Toga gebracht?«, fragt sie und zeigt auf den Kartoffeltopf, als müsse sie sich selbst lautstark ablenken. »Sollst … du Kartoffeln schälen?« Er antwortet nicht. Sie nimmt das Messer und schält die Kartoffeln. Das Kartoffelschälen, das ihr am Anfang gar nicht gelingen wollte, hat sie unter Arjunas Fuchtel gelernt. Ganz dünn hebt sie mit der Messerschneide die rotbraune Oberfläche der Knolle ab, spiralförmig, alles in einem Stück. Schale um Schale ringelt sich auf der sonnenheißen Dachpappe, bis der Berg abgetragen, die Arbeit erledigt ist.
    Bevor sie das Dach verlässt, greift sie kurz entschlossen den kaputten Walkman und die Wegwerffeuerzeuge und setzt dem alten Mann ihre Sonnenbrille auf. Er rührt sich nicht, er lässt sie gewähren. Er mag sich wundern, wenn er überhaupt zum Wundern imstande ist, er mag sich wundern, dass der helle Sonnenball plötzlichum zwei Schattierungen dunkler brennt, aber vermutlich nicht mal das. Sie steht noch eine Weile da und sieht hinunter auf das ameisengleiche Treiben Manhattans. Der Ring. Er stört. Sie zerrt ihn vom Finger, sieht ihn lange an, wirft ihn runter, runter vom Dach, wartet gar nicht, bis er auftrifft. Dann rennt sie los, einfach raus, einfach weg.
    Der neonhelle New Yorker Abend umfängt sie sanft, fast zärtlich. Es regnet warme große Tropfen. Regenschirme rangeln miteinander auf der Straße. So viele Menschen unterwegs, die alle wissen, wo sie herkommen, wo sie hingehen, wie sie heißen, denkt Venus. So viele Menschen, die lügen und betrügen, Gott, ihre Frauen, ihre Männer, ihre Freunde, ihre Kunden. So viele Menschen, die sich heute besaufen werden oder weinen oder irgendjemanden mit nach Hause nehmen, weil sie einsam sind. Niemand weiß, was sie unter ihrer Kleidung tragen, ob sie Ringe in den Brustwarzen haben oder einen Pflock im Schwanz. Niemand kann sehen, ob sie eine Mordanklage am Hals haben oder todkrank sind oder böse. Niemand außer uns.
    Venus nimmt die Mütze ab. Die Tropfen platzen mit kleinen schmerzlosen Trommelgeräuschen auf ihrem weißblonden Haar, auf ihrem wohlgeformten kleinen Schädel, ihrer glatten hellen Stirn. Wie eine nasse Katze sieht sie aus mit ihren flaschengrünen Augen, die überdacht sind von dichten weißen Wimpern. Leicht fauliger Geruch steigt von der Straße auf, der Regen spült den Sommertag von der Houston Street. Sie atmet tief ein. Sie steckt die Hände in die Hosentaschen und findet dort eine Zigarette. Die Zigarette ist nass. Sie betritt einen Grocery Store. Er kommt ihr innen unsinnig bunt vor.Tropfend läuft sie an den Regalen entlang und bleibt vor den Chemikalien stehen. »Roach Motel«, steht auf einer kleinen Dose. »Sie checken ein, aber sie checken nie aus.«
    Sie denkt an Benito, muss lächeln, läuft weiter, Meter um Meter an Dressings vorbei, Chunky Blue Cheese Dip, Honey Mustard Dip, Honey French Dip, Miso Dressing, Karashi Dressing, Thousand Island Dressing, Creamy Ranch Dressing, Creamy Italian Garlic Dressing, Minced Garlic Dressing. Meter für Meter verändert sich ihre Stimmung, mäandert über Müdigkeit, Lebensmüdigkeit, Melancholie, Schwermut, Zorn, Wut. Sie ist plötzlich wütend über die unsinnige Fülle an Stimmungen, diese unsinnige Fülle an Dressings, die keine Sau braucht, keine Sau. Deswegen rennen alle in die Tempelkirche, denkt Venus, sie verstecken sich, sie verschanzen sich vor der Invasion der Dressings, der Dips, vor der totalen Verdippung. Vielleicht ist sie ja verrückt? Vielleicht gehört sie in die Insektenfalle? Oder ins Bellevue, in die Gummizelle, gleich neben die vom Strickliesl? Das Bunte dreht sich vor ihren Augen. Sie hätte gern Heimweh.
    »Hast du was gesagt?«, fragt der Verkäufer, ein kleiner dicker Mexikaner.
    Sie sieht ihn irritiert an. »Ich hätte gern … Streichhölzer.«
    Als er ihr ein Mäppchen Streichhölzer über den Ladentisch schiebt, stürzt ein maskierter Mann herein und schreit, er wolle Geld, der Verkäufer hebt die Arme, geht rückwärts, bückt sich blitzschnell und schießt den Einbrecher über den Haufen. Der

Weitere Kostenlose Bücher