Venus
aber sie verschränkt die Arme. Es kommt ihr so vor, als bestrafe sie sich selbst.
Sie wird ihn fragen, gleich wird sie ihn fragen. Stattdessen aber hört sie sich rufen: »Warum umarmst du mich nicht endlich? Warum willst du mich nicht umarmen?«
Er sieht sie an. »Aber ich will dich doch umarmen«, sagt er, »ich will dich doch umarmen.«
Romeo umarmt Julia, zum ersten Mal, genau genommen zum zweiten Mal, aber zum ersten Mal freiwillig und – wirklich. Er umschlingt sie mit seinen riesigen weichen Armen, er beugt sich herab und schmiegt seinen stoppeligen bärtigen Schädel an ihr Gesicht, seinen stattlichen Bauch an ihre Brust, hüllt sie mit seiner mächtigen Gestalt ganz und gar ein, bittet sie mit jeder seiner Fasern um Vergebung, sodass sie bewegt und den Tränen nahe ist. Endlich spürt sie sein herrisches Kinn in ihrer Halsbeuge, kann sie die Hand auf seinen warmen knarzigen Schädel legen, in dem all diese wunderlichen Dinge vor sich gehen. Seine weichen graublondenHaarstoppeln. Die Wärme seiner Haut. Der Hauch seines Atems.
»Wir sind nur Menschen«, flüstert der Bliss Swami. »Wir haben die Tendenz, in Illusion zu verfallen.«
Sie hat ganz und gar nichts dagegen, in Illusion zu verfallen. Und sie möchte diesen Moment nicht kaputtmachen. Um nichts in der Welt. Aber sie muss. Sie stemmt sich von ihm weg, löst sich aus der Umarmung.
»Gibt es Dinge, die ich wissen sollte, bevor ich dich heirate?«
Sie setzen sich auf eine Bank. Der Bliss Swami nimmt ihre Hand in seine großen, weichen. Er sieht traurig aus. In Sichtweite, auf der Straße, läuft windschief Scheich Ramzi vorbei und spielt auf einer Flöte. Die Flötenmelodie bahnt dünn und fern und vergeblich ihren Weg durch den New Yorker Straßenlärm quer durch den Park zu unserem seltsamen Paar auf der Bank. Der Bliss Swami, der symbolische Kotzefresser, fixiert nachdenklich Scheich Ramzi, den tatsächlichen Kotzefresser.
»Ich wollte immer Mönch sein«, sagt er, »aber ich bin schwach.«
»Was meinst du?«
»Das Keuschheitsgelübde. Ich habe es gebrochen.«
»Wann?«
»Oft.«
»Oft? Mit wem?«
»Mit Frauen aus der Community. Mit weiblichen Gästen. Mit Prostituierten.«
»Allah sein groß«, kräht Scheich Ramzi, der sich hinkend nähert. Er sieht die beiden nicht, nicht den Orangen Riesen, nicht das Albinohuhn, und läuft vorbei. Sie sind leicht zu übersehen, zwei Häufchen Unglück, in sich zusammengekauert, wie müde Touristen, dieverschnaufen müssen. Niemand würde dieses Paar für frisch verlobt halten. Sie tastet nach ihrem Ring. Er sitzt locker. So was, gestern war er noch zu eng, denkt sie. Eben konnte sie gar nicht nah genug bei ihrem Verlobten sein. Nun wünscht sie sich größtmögliche körperliche Distanz. Die Bank ist entschieden zu klein. Sie rutscht weg, so weit, bis ihr halber Hintern in der Luft hängt.
»Jemand, den ich kenne?«, hört sie sich fragen, obwohl sie es ja weiß. Sie weiß es ja.
»Baula.«
Venus tut uns Leid. Immerhin können wir unsere Mitschuld an ihrer Lage nicht bestreiten. Die Chance der Neugeburt bietet sich nicht vielen. Und dann gleich wieder verwundet. Nebenan prügeln sich zwei Obdachlose. Ein Polizeiwagen kommt. Die Raufbolde werden abgeführt.
»Geh weg!«, das ist alles, was sie sagen kann.
Der Swami nickt, sie hasst ihn für sein Verständnis, sie hasst ihn, sie hasst ihn. Er steht auf und geht, von ihrem Hass begleitet, der Zeigefinger sticht wie ein Dorn aus dem Gebetssack heraus.
Sie hasst ihn! Oh, wie sie ihn hasst! Den Heiligen hat er ihr vorgespielt. In Wirklichkeit sticht sein Schwanz aus seinem Mönchsgewand heraus wie sein Zeigefinger aus dem Gebetssack. Sie geht zurück. Wir würden fast sagen: Sie marschiert.
Unsere Venus hat die Tempelkirche erreicht in einer Verfassung, die jeden Mord entschuldigen würde. Doch als sie die Treppe hochläuft, nimmt ihre Wut ab, Stufe für Stufe, und wird von Ratlosigkeit abgelöst. Sie betritt das Kirchendach und setzt sich neben Sun Baba, vor dem ein großer Topf voller Kartoffeln steht, ein Messer liegtdaneben. Der Kampf mit Baula, die Wut auf den Swami, alles fühlte sich besser an als die Leere im Kopf, die sich nun langsam wieder ihrer bemächtigt, so wie auf die Flut unweigerlich die Ebbe folgt. Sie betrachtet den Alten, der weder Kartoffeln noch Messer noch sie wahrzunehmen scheint. Er scheint ganz versessen zu sein auf Leere im Kopf, auf Ereignislosigkeit, auf Einsamkeit. Ihr Blick gleitet an seiner verhärmten, von
Weitere Kostenlose Bücher