Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
können, bevor er sich für eine Taktik entschied. Der Vampir drückte sich enger in die Schatten. Eine vergebliche Geste, denn Magnus’ Tochter drehte sich zur Seite und hüllte sich tiefer in ihre Decke, um noch einige Minuten zu träumen. Ihre Atemzüge waren schlafestief und gewährten ihm Zeit, sich umzusehen. Kein Kinderzimmer mehr, das Zimmer einer jungen Frau.
Joel grinste. Er hatte nicht gewusst, dass Magnus Tochter bereits so alt war. Vielleicht war das hier wirklich eine Falle des alten, intriganten Vampirs. Aber sicher keine für ihn! Eher für einen unverbesserlichen Frauenhelden.
Als sich das Mädchen wieder bewegte, verharrte er reglos. Unter der dünnen Sommerdecke zeichnete sich eine überraschend große Gestalt ab, die sich müde reckte und streckte. Schließlich wälzte sie sich schlaftrunken auf den Rücken und bot Joel zum ersten Mal einen Gesamteindruck. Er korrigierte ihr Alter noch einmal nach oben, definitiv erwachsen. Doch was ihn in den Bann schlug, war die Zufriedenheit der jungen Frau. Sie schien mit sich und der Welt im Reinen zu sein, arglos und glücklich über einen weiteren Tag in ihrem Leben. Von dieser Zufriedenheit abgelenkt, war Joel ihr zielsicherer Griff nach der Nachttischlampe entgangen. Trotz der Blendung durch das plötzliche Licht sah er den erschrockenen Blick in ihren weit geöffneten Augen.
Erschrecken wurde abgelöst von Ungläubigkeit und Panik. Er konnte spüren, wie sich die Muskeln in ihrem Körper anspannten.
»Liegenbleiben!«, befahl er bewusst barsch.
Sie gehorchte sofort, verharrte mitten in der Bewegung.
Judith starrte den Einbrecher an und bemühte sich, nicht zu blinzeln. Seine Körpersprache war eindeutig: Jede Bewegung von ihr konnte ihn zu einem Angriff reizen. Schwarz gekleidet mit schwarzen Haaren und ebenso schwarzen Augen schien er sich aus der Finsternis selbst zusammengesetzt zu haben. Selbst die Art und Weise, wie er still stand, so als warte er nur auf den Moment, in dem er zum Jäger werden konnte, war finster. Eine furchteinflößend schöne Gestalt, die direkt ihrem Traum entsprungen schien.
Nur mühsam konnte Judith ein Zittern verhindern. Die Kälte, die nach dem Schock eintrat und die ihren gesamten Körper umfasste, war allmächtig. Sie konnte die Gänsehaut spüren, die sich auf ihrer Haut bildete, von ihren Armenüber ihren Rücken zog und jedes Härchen auf ihren Körper aufrichtete. Sie fror erbärmlich, konnte aber nichts tun, als den Fremden wie hypnotisiert anzusehen. War er real? Wie eine Vision war der Finstere aus den Schatten aufgetaucht. In der einen Sekunde war es ihr Zimmer gewesen. Ein Ort voller guter Erinnerungen – in der nächsten war der Fremde da gewesen und alles hatte sich geändert. Wo eben noch das Licht die Schatten verdrängt hatte, ballte sich nun die Dunkelheit in den Ecken und fraß an der Realität. Die Finsternis schien sie zu belauern und die Grenzen zwischen hell und dunkel waren unheimlich, klar und abgegrenzt. Ihre Welt war mit einem Mal eine aus Gegensätzen. Schwarz und Weiß – etwas anderes schien es nicht zu geben. Obwohl der Fremde kein Riese war, nur ein Stück größer als sie, und bei weitem nicht hässlich, schien seine Präsenz ihr heimeliges Zimmer schrumpfen zu lassen. Freiräume und Fluchtmöglichkeiten schienen kleiner zu werden. Wie oft hatte Judith von solchen Situationen gehört oder gelesen? Sollte sie ihm nicht Geld anbieten? Wertsachen?
»Wo ist dein Vater Magnus?« Die Worte des Eindringlings töteten die Hoffnung in ihren Gedanken. Tief in ihrem Inneren hatte sie die Wahrheit gewusst. Von der ersten Sekunde an.
Der Fremde ist kein Einbrecher und egal, was du sagst und tun wirst, er wird dein weiteres Schicksal bestimmen
. Das Wissen und die Bruchstücke der Zukunft waren da, meldeten sich wie so oft in letzter Zeit ungefragt und drängten sich ihr Bewusstsein.
Schützend zog Judith die dünne Decke höher und versuchte eine Barriere zwischen sich und dem Unheil zu bilden.
Beinahe hätte Joel bei dieser Geste der Hilflosigkeit die Mundwinkel nach oben gezogen. Er hatte viele hübsche Frauen in seinem Leben gesehen und bezweifelte, dass ausgerechnet Magnus’ Tochter etwas zu bieten hatte, was ihn aus der Ruhe bringen würde – gegen seinen Willen und offensichtlich auch gegen ihren. Obwohl er zugeben musste, dass sie reizend aussah. Gar nicht sein Typ, aber reizend. Ihre raspelkurzen, schwarzen Haare bildeten einen herrlichen Kontrast zu ihren sanften, braunen Augen
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