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Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers

Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers

Titel: Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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mit übereinander geschlagenen Beinen die Zeitung las. Der seidenglänzende Morgenrock verrutschte ihr und sie schnippte die Asche der Zigarette auf den Teller mit den Krümeln eines Hörnchens.
    Ganz in Gedanken. Seine Zeilen lesend.
    Philip Perak hätte beinah noch einmal an einem der Knöpfe gedreht, als er dieses Bild vor seinem geistigen Auge sah.
    Sie musste sich angesprochen fühlen. Er hatte den Tag erwähnt, die Stunde, das Kollier mit den Saphiren in der Auslage des Juweliers. Und von da Bezug auf ihre Augen genommen. Kein kurzer Anzeigentext.
    Perak nahm die Hand vom Blazer und faltete das Papier und legte es in das bereitliegende Kuvert.
    Fühlte er sich noch in der Lage, zu einer Anzeigen-Annahme zu gehen und den Text persönlich abzugeben?
    Er schaute an sich hinunter. Auf den scharfen Bügelfalten lagen Krümel. Perak griff nach der Serviette und wedelte sie weg, um kein Fett in das hellgraue Kammgarn zu reiben. Fast hätte er mit der Serviette den Kellner herbeigewedelt, doch er besann sich und hob nur die Hand.
    Als er aufstand, um die Kaminhalle zu verlassen, drückte er das Kuvert an die Brust. Auf Knopfhöhe.
    Er würde sich der Anzeigen-Annahme stellen. Den Text abgeben. Chiffre ordern. Die Scheine hinlegen.
    Es war nur sehr schade um den Laokoonknopf. Ohne ihn würde der Blazer kaum noch tragbar sein.
    Er gehörte zu den Menschen, deren Briefkasten meist leer blieb. Manchmal kam das Angebot einer Künstleragentur. Gelegentlich Briefe von seiner Bank. Kaum mehr.
    Das graue Kuvert, auf dem als Absender das Amtsgericht Kleve stand, lag allein im Kasten, vielleicht länger schon.
    Jef leerte ihn nicht täglich. Auch jetzt, nachdem er das Kuvert schon in der Hand gehalten hatte, legte er es erst einmal auf das Klavier, als wolle er es eine Weile dort liegen lassen.
    Ungeöffnet. Kleve löste Widerwillen in ihm aus.
    Erst am späten Nachmittag und kurz bevor Vera kam, öffnete er das Kuvert und las die Nachlasssache der Margret Diem, die er nur unter dem Namen Margo gekannt hatte.
    Warum starb seine Stiefmutter mit vierundvierzig Jahren und hinterließ ihm das Haus? Jef suchte vergeblich nach dem Namen derjenigen, die vielleicht seine Halbschwester war.
    Er trat ans Fenster, das Schreiben in der Hand, und hatte Schuldgefühle. War Margo doch ein besserer Mensch gewesen, als er es von ihr wusste? Hatte er ihr unrecht getan?
    Jef dachte an den Tag, an dem er noch einmal in das Haus gekommen war, in dem er die ersten neunzehn Jahre seines Lebens verbracht hatte. Wenige Wochen nach dem Tod des Vaters war es gewesen. Ein Oktobertag. Die Weiden unten am Rhein hatten sich im Wind gebogen.
    Er hatte es vom Fenster im Arbeitszimmer seines Vaters aus gesehen, in das er vom Dienstmädchen geführt worden war. Jef hatte lange gewartet, bis er in das obere Stockwerk ging. Hatte er nicht immer noch ein Recht dazu?
    Der Junge, von dem sie sich löste, war höchstens sechzehn gewesen und hatte nicht beglückt gewirkt, eher verstört.
    Jef hatte gedroht, es allen kundzutun, wenn sie sich noch einmal an einem halben Kind vergriff.
    Konnte er das kontrollieren? Hätte er diesen Missbrauch nicht anzeigen müssen, um andere Jungen zu schützen?
    Sie war zu Kreuze gekrochen. Hatte ihn angebettelt zu schweigen. Ehrsame Witwe.
    Jef schaute auf die Straße und sah Vera kommen, einen kleinen Koffer in der Hand. Sie kam den ganzen Weg zu Fuß durch ein Glasscherbenviertel, wie es die Schanze war, und trug die Schuhe von Armani im Koffer, die sie ihm für den heutigen Auftritt angekündigt hatte. Er liebte Vera.
    Das Schreiben des Amtsgerichtes Kleve legte er zurück auf das Klavier. Er würde es ihr erzählen. In nächster Zeit.
    Sie brauchten beide kein Haus am Niederrhein. Das Glück des Hingehörens konnte es ihm nicht wiedergeben.
    »Now you say you're sorry for being so untrue.« Vera stand und sang hoch über allem. Highheels. Zehn Zentimeter hohe Absätze, die sie auf eine satte Größe von eins achtundachtzig brachten, und der einzige Halt waren die Knöchelriemen.
    »Just cry me a river«, sang Vera und kam ziemlich ins Schwanken dabei. »I cried a river over you.«
    Sie wusste schon, warum sie die Schuhe kaum getragen hatte. Vielleicht sollte sie die Biester besser nur dekorativ herumliegen lassen. Im Schlafzimmer. Vor ihrem Bett. Als Kunstobjekt. Statt ihnen ihre Füße auszuliefern.
    Jef sah sie an und lächelte. Er wirkte auch heute wieder abwesend. Doch war er dabei nicht so düster wie das letzte Mal. Er schien

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