Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers
Wenige, das sie wusste. Vier Herren waren in den Laden gekommen. Kiezgrößen. Klar. Versuchten sie, Jef in eines ihrer Geschäfte hineinzuziehen? Herointütchen im Steinway? Jef hatte ihr lediglich gesagt, dass er vom Chef aufgefordert worden sei, die Herren nicht zu kennen. Die drei Affen zu geben. Nichts hören. Nichts sehen. Nichts sagen. Was wusste er?
Vera schob die Ecke Toast, die hart geworden war, in den Mund und ließ sie zwischen ihren Zähnen krachen.
»Was werden wir tun?«, fragte Nick.
»Die Herrschaften im Auge behalten.«
»Willst du, dass ich vor Leos Wohnung Wache stehe?«
»Harlan übernehme ich«, sagte Vera, »der Fall ist für mich leichter. Leo führt ihn mir vor, und ich klopfe ihn ab.«
»Haben wir noch andere Fälle?«, fragte Nick. Er wirkte wenig überzeugt von Veras Vorhaben.
Vera zögerte. »Halte mich auf dem Laufenden, wenn du was von den tätowierten Frauen hörst«, sagte sie dann.
»Ich fürchte, das schläft ein. In ein paar Jahren wirst du dir eine Dokumentation darüber angucken können. Die großen ungelösten Kriminalfälle.«
»Haben sie keine Spuren für die DNA?«
»Hilft dir doch nicht, wenn dein Killer in keiner Kartei ist.«
Vera nickte. »Da ist eine angeschnittene Kehle auf dem Kiez schon leichter zu lösen.«
»Das ist was Handfestes«, sagte Nick und fand sich nicht nur zu flapsig, sondern schon reichlich morbid. Da musste er unbedingt gegensteuern.
»Ich habe übrigens noch zwei Cornetto im Kühlfach«, sagte er.
»Krönender Abschluss eines köstlichen Abends«, sagte Vera, »ich hoffe, es ist Stracciatella.«
»Erdbeere«, sagte Nick, »ich bin und bleibe eben ein Mann, der die Erwartungen nicht erfüllt.«
Hohe Stufen. Sie kicherte. Stakste wie ein Storch, um nicht fehlzutreten. Kamen ihr die Stufen nur hoch vor, weil ihre Augen verbunden waren?
Ein Spiel, in dem sie geprüft werden sollte. Ihre Beherrschung des Körpers, ihr Improvisationstalent.
War sie nun allein? Kein Laut kam mehr von hinten. Sie zögerte und blieb auf einer der Stufen stehen und spürte schon die Hand im Rücken, die sie weiterdrängte.
Treppen, die kein Ende nahmen.
Da kam wieder dieses Kichern über sie. Dabei war sie voller Anspannung gewesen am Anfang des Abends. Woher die Heiterkeit? Ob sie ein Glas Cognac trinken wolle, war sie gefragt worden. Vielen der Bewerberinnen half es, sich zu lösen, wurde ihr gesagt.
Die Angst vor dem Vorsprechen verlieren.
Casting, dachte sie. Das war doch ein Casting hier.
Den Cognac hatte sie abgelehnt. Nur zwei Tassen Tee getrunken, und doch war ein Gefühl von Leichtigkeit in ihrem Kopf, als atme sie zu dünne Luft ein.
Ein breiter Treppenabsatz, auf dem sie zu stehen kam.
Eine Tür, die geöffnet wurde. Hätte sie mehr auf die Geräusche achten müssen? Würden die abgefragt werden? Ein Teil der Prüfung, bei dem sie dann versagte?
Ein Holzboden jedenfalls, auf den sie jetzt trat. Dielen knarrten unter ihren Sandaletten.
Ein Stuhl, auf den sie gedrückt wurde.
Wann würde ein Text von ihr erwartet? Welcher Text?
Auf einmal war die Heiterkeit weg.
Versagensangst, die in ihr hochstieg. Wie oft war sie schon durch Prüfungen gefallen. War durchs ganze Land gereist, um sich dem auszuliefern. Wie oft hatte sie in den Gesichtern der versammelten Juroren vergeblich nach der Bestätigung gesucht, dass ihr Vortrag gut aufgenommen wurde.
All diese dahingegangenen Hoffnungen.
In den Mienen war schon die Ablehnung zu lesen gewesen, noch ehe sie den letzten Satz ihres Textes gesprochen hatte.
Vielleicht war es nur gut, dass ihre Augen verbunden waren.
Dann blieb ihr das erspart.
Eine Hand, die ihr in die Haare fasste.
Etwas war falsch an dieser Hand.
Ihre Haare waren immer ihr Glanzpunkt gewesen.
Sehr hell. Sehr leuchtend. Warum dachte sie daran? Jetzt?
Sie versuchte, sie abzuwehren. Die Hände, die sich um ihren Hals legten. Versuchte, die Augenbinde abzustreifen.
Schlug um sich. Griff in das Gesicht hinein, das ihr doch vor wenigen Stunden noch wohlwollend erschienen war.
Ein Würgen, als sich der Druck verstärkte.
Der Druck auf ihre Kehle.
Sekunden, in denen sie verstand, was ihre Rolle war.
Ihr Kopf schien zu platzen.
Qualvolle Sekunden.
Dann kam er doch rasch, der Tod.
Vier Angebote von Partnervermittlungen. Ein Brief eines Transvestitenklubs. Der Brief war beinahe persönlich gehalten, als sei Philip Perak ein alter Bekannter. Perak schmerzte die Vorstellung, als zugehörig betrachtet zu werden.
Er prüfte den
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