Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers
von Möbeln aus schwarzer Mooreiche angeschafft hatte.
Philip Perak setzte den Schlüssel an und öffnete das Fach.
Die kalbslederne Schatulle, die er hervorholte, war nicht verschlossen. Er hob den Deckel und betrachtete das, was Ola Peraks Schmuck gewesen war.
Welch eine Freude würde es sein, die kleinen Kostbarkeiten zu verteilen, sie scheinbar nachlässig, wenn nicht gar schon vergesslich herumliegen zu lassen. Welche Freude, wenn die Saphirblaue sie dann fände und an sich nähme.
Er war gern bereit, die Augen vor vielem zu verschließen.
Ihr die Heimlichkeit zu lassen.
Wenn Gloria nur glücklich wäre.
Keine Leo. Nirgends. Vera hatte vor ihrem Haus gestanden und geklingelt, und schließlich war es ihr gelungen, in das Treppenhaus zu kommen, als ein anderer das Haus verließ. Doch auch das Klopfen und Rufen an der oberen Tür brachte nichts. Nicht einmal die Nachbarn schienen sich gestört zu fühlen ob des Lärms, den Vera veranstaltete.
Einen Augenblick lang kam die Angst in Vera hoch, Leo könne hinter der Tür liegen, tot, ein Dutzend leere Folien neben sich, in denen Schlaftabletten gewesen waren.
Doch warum hätte Leo das tun sollen?
Verändert war sie und gereizt. Aber depressiv?
Nick hatte vorgeschlagen, zum Hafen zu fahren. Zu Leos Büro. Vielleicht klärte sich alles auf, und nur die Sekretärin, die Vera am Telefon gesprochen hatte, war nicht informiert.
Vera erinnerte sich aus der eigenen Zeit in der glanzvollen Welt des Klatsches, dass es das gegeben hatte. Nächtliche Anrufe vom Chef, nach denen man sich am nächsten Tag in einem Flugzeug wiederfand, um die einmalige Chance eines exklusiven Interviews wahrzunehmen. Irgendwo.
Eine leichte Verärgerung, dass Leo sich nicht abgemeldet hatte und nicht einmal glaubte, eine Migräne vortäuschen zu müssen, das war alles, was Vera in der Redaktion vorfand.
Keine Leo. Nirgends.
Eine Weile noch fuhren sie ziellos herum, als glaubten Vera und Nick, dass Leo an einem der Zebrastreifen stünde und Nick nur zu halten brauchte, und alles war gut.
Wahrscheinlich regen wir uns ganz umsonst auf, hatte Nick gesagt. Wo wohnt denn dieser verdammte Harlan?
Keiner von ihnen wusste es, doch wenigstens wussten sie beide wieder, dass Leo zu ihnen gehörte. Nicht zu Harlan.
Und dass sie ihr nicht wirklich böse waren.
Nur die Sucherei hatten sie satt.
Die Ungewissheit.
Nick sprach als Erster von den sechs toten Frauen.
Passte Leo nicht genau in das Opferschema?
Vera hatte es bis jetzt nicht zu denken gewagt.
Sie fuhren zu Vera. Sehnten sich nach Annis Normalität.
Ihre Gedanken waren abstrus geworden.
Wir haben zu viel Phantasie, hatte Nick gesagt, als sie vor Veras Tür standen. Eine Last konnte sie sein, die Phantasie.
Leo lag in einer dunklen Ecke des Lofts, in die das Tageslicht nicht kam. Harlan hatte sie mit großen Vorhängen verhängt, die hell und heiter wirkten, doch kein Licht drang durch.
Die Schlafecke. Ein großer Futon, auf dem Leo lag.
Sie öffnete die Augen und hatte das Gefühl, aus einer tiefen Narkose zu kommen. War sie so erschöpft gewesen?
Eine lange Nacht mit Harlan? Eine vage Erinnerung stieg in ihr auf. Hatte sie nicht zu Vera gehen wollen?
Eine Stimme im Loft. Harlan? Sprach er mit ihr?
Leo konnte die Worte kaum verstehen, doch sie waren auch nicht an sie gerichtet. Harlan schien zu telefonieren.
Als es wieder still war, keiner mehr sprach, rief Leo nach ihm.
Ihr war die eigene Stimme heiser und leise vorgekommen, doch Harlan kam sofort.
»Geht es dir besser?«
»Ist es mir schlecht gegangen?«
»Du bist mir in die Arme gefallen. Hier vor dem Haus.«
Leo wusste nichts mehr davon. Sie hatte nicht zu Harlan gehen wollen, der unweit ihres Büros wohnte. Nein. Sie war auf dem Weg zu ihrem Wagen gewesen, der unten an der EIbe geparkt stand. Hatte sie ihren Autoschlüssel vergessen gehabt, dass sie wieder zurück zur Straße gegangen war? Eine Frau, dachte Leo. Da war doch eine Frau gewesen, die sie angesprochen hatte. Oder?
»Ist es schon spät?«
»Zwölf Uhr.« Harlan sah auf seine Uhr. »In zwei Minuten.«
Leo fuhr hoch. Schwindel in ihrem Kopf. Sie war nicht einmal entschuldigt. Weder bei Vera noch in der Redaktion.
»Ich bin dir in die Arme gefallen. Und dann?«
»Habe ich dich hergetragen. Eine Braut, die ich über die Schwelle trug.« Er wusste nicht, warum er das sagte. Sicher nicht, um Leo einzulullen. Ihr Hoffnung zu machen.
Harlan hätte nicht im Traum an Heirat gedacht. Keine, die ihn das je
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