Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers
es ein kühler Abend, und wenn es ihm warm werden sollte, hoffte er, ausgezogen zu werden von ihr.
Auf der Kommode hatte er das erste kleine Schmuckstück ausgelegt. Eine Brosche aus Brillanten und Bergkristall.
Ein paar andere hatte er im Salon verteilt, das Teuerste lag ganz zufällig unter dem Plaid, das über der Sofalehne hing.
Er wünschte sehr, dass sie darauf zu liegen kämen.
Dann wäre es ein Leichtes, dass das schwere Platinarmband in Glorias Hände glitt. Eine extra große Belohnung fürs Vögeln sozusagen. Er atmete tief durch.
Schöpfte noch einmal genügend Atem. Es hatte geklingelt.
Perak stand in seiner Wohnungstür. Zum Empfang bereit. Nur ein flüchtiger Blick, den er auf Veras Tür warf.
Beinah hatte er das Gefühl, die ginge ihn nichts mehr an.
Leo hatte sich in ihren karierten Hausmantel gehüllt und kauerte mehr im Sessel, als dass sie saß. Ihr war kalt.
»Ich hab mir bestimmt was geholt«, sagte sie, »wenn ich wüsste, wie lange ich da am Hafen herumgelaufen bin.«
Sie sah blass aus. Vera hatte ihre Freundin selten so ganz ohne Schminke gesehen. Leo gehörte zu den Frauen, die sich nackt fühlten ohne Lippenstift.
»Kannst du dich noch immer nicht erinnern?«, fragte Vera.
»Ich erinnere mich, dass es einen Umtrunk in der Graphik gab, als ich mit Charles und Camilla herummachte. Einer der Graphiker kam und stellte mir ein Glas Prosecco hin.«
»Da bist du anderes gewöhnt«, sagte Vera, »das wird dich nicht ohnmächtig in Harlans Arme sinken lassen.«
»Glaubst du, dass ich ohnmächtig gewesen bin?«
»Ganz bei Sinnen wohl kaum.«
»Hätte Harlan da nicht den Arzt holen müssen?«
»Er scheint sich auf jedem Gebiet sicher zu sein«, sagte Vera. Ihre Stimme klang spitz.
»Er gefällt dir nicht.«
»Ich denke nur, dass das, was du an Tiefgründigkeit an ihm schätzt, auch ein dunkler Abgrund sein könnte.«
»Er kann sehr lieb sein.«
»Als er in die Bar kam, dachte ich, dass er aussehe wie Alain Delon«, sagte Vera. Sie wollte was Nettes sagen.
»Dafür hat er zu helle Augen.«
Vera stand auf und ging in Leos Küche, um noch einmal Teewasser aufzusetzen. In der letzten Runde hatten sie mehr Rum als Tee in der Tasse gehabt. Das hatte Leo entspannt, aber kaum ihren Kopf klarer gemacht. Vera hätte gern Licht in das Dunkel der gestrigen Nacht gebracht.
»Danke, dass du hergekommen bist«, sagte Leo, »ich hätte es nicht mehr geschafft, nochmal aus dem Haus zu gehen.«
»Hast du nicht manchmal Sehnsucht nach dem ganz normalen Leben mit Nick?«
»Normales Leben mit Nick? Gibt es eigentlich etwas Neues von seinen Leichen? Ich höre gar nichts mehr davon.«
Vera zögerte. Sie dachte an das, was ihnen heute Vormittag durch den Kopf gegangen war.
Dass Leo genau ins Opferschema passte.
»Nichts Neues«, sagte Vera.
Sie stand auf, weil der Wasserkessel pfiff.
»Harlan hat mir heute Mittag einen Melissentee gemacht.«
»Sehr fürsorglich«, sagte Vera, als sie mit den bei den Keramikbechern ins Wohnzimmer kam.
»Nicht auf das Buch«, sagte Leo, als Vera den einen in ihrer Nähe abstellen wollte. »Das ist von Harlan. Er hat es mir heute mitgegeben. Als Bettlektüre.«
»Mohn und Gedächtnis. Wie sinnig.«
»Ich wünschte, ich könnte mich an diese Frau erinnern. Sie hat mich angesprochen. War das auf dem Parkplatz?«
»Du glaubst, dass die Begegnung von Bedeutung war?«
Leo nickte. »Das glaube ich bestimmt«, sagte sie.
»Kam sie dir bekannt vor?«
Leo dachte nach. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen von der Anstrengung, sich zu erinnern.
»Ich weiß es nicht mehr«, sagte sie schließlich.
»Hast du eigentlich vorher schon mal bei Harlan geschlafen?«
»Ich bin einmal auf seinem Ledersofa eingeschlafen. Als ich in der Nacht aufwachte, war er nicht da, und ich bin gegangen.«
»Hast du ihn nachher nicht gefragt, wo er gewesen war?«
»Er ist nicht der Mann, der solche Fragen beantwortet.«
»Und das nimmst du hin«, sagte Vera. Sie seufzte und griff nach dem Gedichtband und blätterte darin.
»1952 erschienen«, sagte sie.
»Er hat viele von diesen alten Ausgaben.«
Vera dachte an den Gedichtband, in dem Gustav Lichtes Exlibris klebte. Else Lasker-Schüler. Sie sollte ihn mal wieder zur Hand nehmen. ›Der Tibetteppich‹ hatte ihr gefallen.
»Was bedeutet dir Harlan?«, fragte sie.
Leo nahm die Rumflasche und goss davon großzügig in den Teebecher. Blaukreuzler waren sie alle nicht.
Sie nahm einen tiefen Schluck, ehe sie antwortete.
»Manchmal
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