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Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers

Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers

Titel: Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Korn
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durfte.
    Sie würde keine Undine werden, die junge Frau. Obwohl sie hübsch war und blondes Haar ihr weich auf die Schultern fiel. Zu groß. Zu träge in ihrer Ausstrahlung. Ein ungnädiger Blick traf sie, als sie begann, ihren Text zu sprechen.
    »Und seit Jahrhunderten bin ich geboren.
    Und sterben werd ich nie.«
    Heute schien der dämmrige Raum kühler. Die Atmosphäre unwirklicher. Die junge Frau hatte das Gefühl, unter Wasser gedrückt zu werden. Oder war sie vom eigenen Vortrag fortgerissen? Undine. Die Nixe. Die am Ende endgültig ins Wasserreich eingeht. Hans, den Geliebten, tot zurücklässt.
    Mich ruft man auch, Undine. Die große Blässe, die große Kälte rufen.
    Die junge Frau war verwirrt. Der Text von Hans.
    Wer hatte ihn gesprochen?
    Sie knirschte mit den Zähnen. Eine dumme Angewohnheit.
    Die junge Frau tat es immer, wenn sie ängstlich wurde.
    Frau Gaskell lächelte. Frau Gaskell. Der Name an der Tür. Hatte sie sich so vorgestellt?
    Eben noch hatte die junge Frau gedacht, dass sie ihr fast schon vertraut sei, die Hoffnungsträgerin ihrer Karriere.
    Jetzt fühlte sie eine Fremdheit, die ihr schwer auf der Brust lag. Sie fiel aus ihrer Atemtechnik. Der Text klang gepresst.
    »Alles ist fest oder leer. Ist das die Erde?«
    »Noch die Erde«, sagte Frau Gaskeil.
    Anderes hörte die junge Frau nicht mehr.
    Leo hatte geglaubt, Abstand gewonnen zu haben von Harlan. Die Abende mit Tee auf dem Sofa und Gurkenmaske im Bett hatten ihr gut getan. Sie sah frischer aus.
    Doch nach den gesunden Nächten war sie sehnsüchtiger denn je und davon überzeugt, dass sie in keiner bequemen Alltäglichkeit leben wollte. Genauso wenig wie sie Lust hatte, die Frau an der Seite des Rächers der Verfolgten zu sein.
    Es führte kein Weg zurück zu Nick.
    Sie musste es ihm nur noch beibringen. Ihm und Vera.
    Vera mochte Harlan nicht. Schade. Denn Leo mochte Jef, obwohl er beinah herzig aussah gegen Harlan.
    Nick sah aus, als habe er einen ökologischen Bauernhof.
    Leo hatte ein gespanntes Verhältnis zum Bäuerlichen. Auch wenn sie auf einem Gut aufgewachsen war, hatte es immer noch zu viele Mäuse und zu viel Mist gegeben.
    Ihr Vater hatte keine Neigung zum Gutsherren gehabt. Nick und er verstanden sich bestens. Brüder im Volke.
    Harlan würde ein Problem werden.
    Leo schloss die Dias von Michael Jacksons Kindern in den Schrank. Seltene Schnappschüsse, die sicher schon auf den Leuchttischen der Welt lagen. Doch ihr Chef sah es eng mit Dias, nachdem mal ein ganzer Satz weggekommen war.
    Sie sah auf die Uhr. Zwei Stunden Mittagspause würde sie sich gönnen. Das hatte sie sich durch Fleiß verdient.
    Leo griff nach den Gedichten von Paul Celan.
    Mohn und Gedächtnis. Sie hatte sich angesagt bei Harlan.
    Er war kein Mensch, der unangemeldete Gäste schätzte.
    Sie stieg die Marmortreppen des alten Kontorhauses hinauf, in dessen Dach sich Harlan ein Loft gebaut hatte.
    Nick hätte seine zwei Zimmer ein paar Mal hineinstellen können. Er wohnte auch nicht besser als sie in ihrer Fliese.
    Mit vierunddreißig Jahren musste eine Frau einfach sehen, welches Dach sie sich deckte.
    Leo hielt sich am polierten Eichengeländer fest, als sie um die letzte Biegung bog und Harlan in der Tür stehen sah.
    Er trug nur einen Hausmantel aus schwerem Brokat.
    Hatte er ein Schäferstündchen geplant?
    Das würde sie überraschen. Überwältigen.
    »Du denkst richtig«, sagte Harlan. Er zog sie hinein.
    »Du willst mit mir schlafen?«
    »Wenn du es so profan ausdrücken willst.«
    »Sag du es«, sagte Leo.
    »Deine Seele, die die meine liebet. Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet. Strahl in Strahl, verliebte Farben. Sterne, die sich himmellang umwarben.« Harlan brach ab.
    »Ich will dich ficken«, sagte er.
    Leo sah ihn bestürzt an.
    »Habe ich dich erschreckt?«
    Leo fing an, sich auszuziehen.
    »Lass mich dich entkleiden«, sagte Harlan.
    Er führte sie zu dem Teppich, der vor dem Ledersofa lag.
    Keiner aus Tibet, ein naturfarbener Berber. Leo sah die unvermeidliche Kanne Tee bereit stehen. Sie hätte gern einen Drink gehabt. Seltsam gehemmt fühlte sie sich.
    Leo spürte Harlans Hände wie kleine flatternde Wesen, als er ihre Kleider nach und nach fallen ließ.
    Sie auf den Teppich legte, als sei sie leblos.
    Doch seine Hände waren sehr geschickt.
    Ein tiefer Seufzer, den Leo tat. Statt eines Schreis, den zu unterdrücken ihr gelungen war. Sie wusste nicht, warum sie darauf Wert legte. Ihr schien es noch unwirklich, dass sie gerade

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