Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
kaputten Beifahrersitzes wieder mit der Rückbank Vorlieb nehmen
musste, gestaltete sich die gemeinsame Autofahrt diesmal unendlich weniger
krampfig als in der Woche zuvor. Als sich nicht sofort ein Gespräch zwischen
uns entwickeln wollte, schaltete Rasmus einfach das Radio an – ich war
erstaunt, dass es funktionierte, und fragte mich, warum wir den Weg zum
Steinbruch in peinlicher Stille zurückgelegt hatten. Eine Hand nachlässig am
Lenkrad, schaltete Rasmus durch die verschiedenen Sender, drückte ein Volkslied
und einen R’n’B-Song weg und landete schließlich bei Nat King Coles L-O-V-E .
Ich wartete darauf, dass er nach einem anderen Lied suchte, aber zu meiner
Überraschung blieb er dabei. Er machte sogar lauter.
„Magst
du das?“, erkundigte ich mich, um unser Schweigen zu brechen.
„Ja,
du nicht?“, gab er achselzuckend zurück.
„Ich
weiß nicht recht … Aber ich glaube, mein Opa findet den Song ganz gut.“
Rasmus
schnaubte leise. „Banausin. Damals gab es eben noch richtig eingängige Musik,
nicht so wie heute. Ich glaube nicht, dass es die Lieder, die jetzt in den
Charts sind, in fünfzig Jahren immer noch im Radio spielen wird.“
„Du
hörst dich sogar so ähnlich an wie mein Opa.“
„Ruhe
auf den billigen Plätzen“, schoss Rasmus sofort zurück, aber seine Stimme klang
freundlich.
„So
wie dein Beifahrersitz aussieht, bin ich mir nicht sicher, was hier die
billigsten Plätze sind“, wagte ich einzuwenden.
„Diesen
Seitenhieb auf meinen mühsam ersparten Wagen übergehe ich jetzt mal. Der Song
hebt meine Laune einfach viel zu sehr.“
„Du
wirst aber nicht mitsingen, oder?“, fragte ich besorgt. „Jinxy singt sehr gern
im Auto. Und sehr laut. Man muss dazusagen, dass sie gar kein Auto hat, das
heißt, sie singt im Bus.“
Rasmus
lachte. „Keine Sorge, diesen Genuss muss man sich erst mal verdienen. Was
dachtest du übrigens, welche Musik ich gerne höre?“
„Na
ja … Metal vielleicht?“
„Manchmal
schon. Aber wieso hättest du ausgerechnet darauf getippt?“
„Du
bist doch immer dunkel gekleidet. Die Stiefel und die schwarzen Jeans … und so
weiter … und du wirkst eben ein bisschen düster.“
Die
Reifen quietschten, als die Ampel auf Rot sprang und Rasmus abrupt bremste. Er
drehte sich halb zu mir um. „ Düster? “
Nervös
nestelte ich an meinem Gurt herum. „Du weißt schon.“
„Nein,
eigentlich nicht“, meinte er in einem interessierten Tonfall und wandte sich
wieder nach vorne. „Aber das würde erklären, warum mir die Frau an der
Essensausgabe immer extragroße Portionen gibt. So versucht sie mich
wahrscheinlich zu besänftigen.“
„Das
glaube ich nicht“, antwortete ich verlegen.
„Vielleicht
hat sie Angst, dass ich ansonsten sie verspeisen könnte.“
„Hör
auf.“ Was ich hätte sagen können, war: Selbst der Bedienung in der Cafeteria
wird nicht entgangen sein, wie gut du aussiehst. Zum Glück konnte ich mich
zusammenreißen. Rasmus parkte inzwischen schwungvoll in einer winzigen Lücke
zwischen zwei Autos ein, und der Motor erstarb mit einem letzten jämmerlichen
Husten. Ich hatte während unserer Unterhaltung nicht auf den Weg geachtet; als
ich nun aus dem Fenster schaute, schnappte ich empört nach Luft.
„Wir
stehen vor meinem Haus!“
„Stimmt
auffallend.“
„Hast
du nicht gesagt, dass wir Pasta essen wollen?“
„Und
wie immer stehe ich zu meinem Wort“, erklärte er würdevoll und zog den
Zündschlüssel ab. „Aber in einem Restaurant gibt es zu viele Ablenkungen.“
Und
hier etwa nicht?, dachte ich. Beziehungsweise – ich sagte
es laut.
Rasmus
bemühte sich um eine beherrschte Miene. „Ich garantiere dir, dass die nächsten
Stunden lehrreich sein werden“, sagte er nachdrücklich, und ich gab mein
Bestes, die Zweideutigkeit dieses Satzes zu ignorieren. „Mir ist übrigens noch
eines eingefallen.“
„Ein
was?“
„Ein
passendes Literaturzitat: Man kann nicht gut denken “, begann er.
„Derzeit
scheint nur einer Probleme damit zu haben“, versuchte ich zu spotten.
„…
nicht gut lieben“, fuhr er unbeirrt fort, und ich spürte,
wie die Hitze in mir hochstieg, „… nicht gut schlafen, wenn man nicht gut zu
Abend gegessen hat.“
„Virginia
Woolf?“
„Eine
weise Frau“, stellte er fest. Erst jetzt bemerkte ich, dass er mich während
unseres Wortwechsels aus dem Auto und bis zur Türe manövriert hatte. Ergeben
kramte ich meinen Schlüssel hervor und verdrängte den Gedanken an das
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