Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
Geschwindigkeitsbeschränkungen
haltend – in Richtung St. Christophorus Hospital, wo mir vor Jahren die Mandeln
herausoperiert worden waren. „Blutest du irgendwo?“, fragte sie, und ich war
mir sicher, dass ihre Sorge viel mehr den Sitzbezügen galt als mir. Ich gab
keine Antwort; stattdessen schaute ich nach draußen, wo die Häuser unendlich
langsam an uns vorüberzogen. Coach Svensson hatte gesagt, dass der Unfall nicht
allzu weit von der Schule entfernt stattgefunden hatte, und mir blieb nichts
anderes übrig als zu hoffen, dass ich auf dem Weg zum richtigen Krankenhaus
war. Ich bohrte die Fingernägel der rechten Hand in meinen linken Unterarm und
begann wahllos irgendwelche Gegenstände in meiner Umgebung zu zählen, wie ich
es schon als kleines Mädchen getan hatte, um meine Angst niederzukämpfen. Was
damals im Wartezimmer beim Zahnarzt immer geholfen hatte, reichte nun
allerdings nicht einmal annähernd aus, um meine aufsteigende Panik unter
Kontrolle zu bringen. Ich registrierte, dass die Taxifahrerin ihren Dutt mit
acht Klammern am Hinterkopf fixiert hatte, und stellte mir Rasmus‘ dunkles Haar
vor, das sich hart vom hellen Leintuch eines Krankenhausbetts abhob. Ich zählte
fünf Glücksbringer, die am Rückspiegel baumelten, und sah die Schläuche vor
mir, die den reglosen Körper mit irgendwelchen Apparaten verbanden. Zwölf Bäume
am Rand des Krankenhaus-Parkplatzes – offenbar keinerlei Parklücken – und ein
blutverschmiertes Armband mit gesprungener Plakette, irgendwo im
Krankenhausmüll.
„Stimmt
so“, krächzte ich, als das Taxi endlich hielt, und warf der Fahrerin den erstbesten
Geldschein entgegen, den ich aus meinem Portemonnaie gezogen hatte.
Das
St. Christophorus empfing mich mit kaltem weißem Licht und dem stechenden
Geruch nach Desinfektionsmittel. Meine feuchten Schuhsohlen erzeugten ein
quietschendes Geräusch auf dem Linoleum, als ich auf die Portiersloge
zustürzte. Dort angekommen brachte ich schließlich nicht mehr heraus als:
„Basketballteam, Galilei High School?“
„Der
Autounfall, nicht wahr?“, fragte der Portier gedehnt, riss sich vom Bildschirm
seines Computers los und beäugte mich durch seine runden Brillengläser. „Pass
auf, Mädchen, wir können jetzt nicht alle Cheerleader und Klassenkameraden
empfangen. Das verstehst du doch sicher.“
„Ich
bin die Tochter des Trainers“, gab ich zurück und versuchte gar nicht erst, das
Schluchzen in meiner Stimme zu unterdrücken. „Mein Name ist Lily … Rodriguez.“
Endlich machte es sich bezahlt, dass ich mein Gedächtnis durch jahrelanges
Streberverhalten trainiert hatte: Ich konnte mich daran erinnern, dass der Name
auf meiner Party am ersten Schultag erwähnt worden war.
Der
Portier tippte irgendetwas auf seiner Tastatur, dann nickte er mir zu. „Ebene
6C“, sagte er, und ich meinte seinen mitleidigen Blick spüren zu können,
während ich ohne mich zu bedanken zum Aufzug rannte.
Auf
Ebene 6 schien derzeit nicht allzu viel los zu sein, stellte ich fest, nachdem
sich die Türen des Fahrstuhls mit einem leisen Surren geöffnet hatten. Nur ein
dunkelhaariger Mann stand mit dem Rücken zu mir am Tresen und wartete auf ein
Rezept, das die junge Krankenschwester gerade ausdruckte. Sie reichte ihm das
Papier und schenkte ihm dabei ein strahlendes Lächeln, das sich allerdings in
eine genervte Grimasse verwandelte, als sie in eines der Patientenzimmer
gerufen wurde. Der Mann drehte den Kopf, um ihr hinterherzusehen, und entdeckte
mich, die ich wie angewurzelt beim Aufzug stand.
„Rasmus?“,
hauchte ich. Das Götterspeisengefühl von vorhin kehrte in meine Knie zurück,
nur dass es diesmal unendlich viel angenehmer war. „Du kannst laufen?“
„Laufen,
tanzen und springen“, antwortete er trocken. „Wir Spieler sind alle drei
glimpflich davongekommen. Jetzt entschuldige bitte meine Neugier, aber was tust
du hier?“
„Ich
hab in der Schule von dem Unfall gehört und da … da wollte ich …“
„Da
wolltest du unter den Ersten sein, die mich im Krankenhausnachthemdchen zu
Gesicht bekommen, alles klar. Das muss jetzt eine ziemlich herbe Enttäuschung
für dich sein.“
Mir
lag schon die passende Erwiderung auf der Zunge, als mich meine Beine plötzlich
ohne Erlaubnis auf Rasmus zutrugen und ich ihm mehr oder weniger in die Arme
fiel.
„Whoa,
Lily“, hörte ich ihn gedämpft, während ich ein Ohr gegen seinen Brustkorb
presste. „Vorsicht, meine Rippen.“
Ebenso
abrupt, wie ich die Arme um ihn
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