Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
Antwort herauszuplatzen, versuchte ich die hellen
Sprenkel im Braun seiner Iris zu zählen (und versage kläglich), bevor ich mich
für eine Gegenfrage entschied. „Möchtest du das denn wirklich?“
Rasmus
runzelte die Stirn. „Im Prinzip schon, nur …“
„Was?“
„Verzichte
auf das Plastikgebiss“, vollendete er den Satz. Im nächsten Augenblick
schrillte die Schulglocke, und eine Sekunde später war er zur Türe draußen.
Zuhause
erlebte ich eine Premiere: Meine Mutter riss sich wohl zum allerersten Mal von
einem modrig aussehenden Wälzer los, weil sie etwas an meinem Verhalten bemerkt
hatte.
„Kleines,
ist alles in Ordnung mit dir?“, erkundigte sie sich mit ungewohnter mütterlicher
Besorgnis in der Stimme. Ich schreckte zusammen, als mir klar wurde, dass ich
bereits seit mehreren Minuten untätig vor dem geöffneten Kühlschrank stand und
vor mich hin starrte. Wahllos schnappte ich mir irgendeinen Snack und machte
mich dann mit geheucheltem Heißhunger darüber her. Wenn meine Laune jetzt,
nachdem ich doch tagelang wie ein Trauerkloß durch die Gegend gerollt war,
aufzufallen begann, musste ich mich wirklich zusammenreißen.
„Nein,
alles okay“, behauptete ich zwischen zwei Bissen, und meine Mutter wandte sich
beruhigt wieder ihrem Buch zu, ohne die gewaltige Lüge zu durchschauen.
Tatsächlich
war überhaupt nichts okay . Es war tausendmal besser als das – mein Herz
begann schneller zu schlagen, als ich mir ausmalte, wie Rasmus an meiner Seite
in den Ballsaal schritt – und tausendmal schlimmer: Mit einem flauen Gefühl im
Magen schob ich meinen Teller weg, als ich mir vorzustellen versuchte, wie ich neben Rasmus in den Saal schritt … oder wohl eher stolperte. Auf den Saum
meines Kleides stieg und der Länge nach auf den Boden platschte. Oder wie sich
ein Kronleuchter völlig unerwartet aus seiner Verankerung löste und auf Rasmus
herunterkrachte, weil der sich dummerweise bereiterklärt hatte, einen
Unglücksmagneten wie mich zu begleiten.
Als
ich bemerkte, dass meine Hände zu zittern anfingen, rief ich mich jedoch streng
zur Ordnung. Wenn ich mich in den nächsten elf Tagen weiterhin so verrückt
machte, würde am Abend des Herbstballs nichts mehr von mir übrig sein. Ich
musste mir dringend eine gelassenere Grundhaltung angewöhnen, und damit konnte
ich auf der Stelle beginnen: Nachdem ich meine Hausaufgaben mit noch größerer
Sorgfalt als üblich erledigt hatte, beschloss ich, meine Schulsachen aus den
vergangenen Jahren nach einem neu entwickelten System zu sortieren. Danach
würde ich mir mit meinem Vater eine Dokumentation im Fernsehen anschauen, noch
einige Seiten in Madame Bovary lesen und früh zu Bett gehen – es würde
ein gemütlicher Abend werden, genau das, was ich nach der Aufregung der letzten
Tage gebrauchen konnte. Zufrieden setzte ich mich vor einen Stoß Notizen und
Arbeitsblätter auf den Fußboden und machte mich daran, jeden Zettel in eine
Klarsichthülle zu stecken, bevor ich ihn in den entsprechenden Ordner einlegte.
Als ich meine Mathematik-Unterlagen aus dem vorigen Semester durchging,
bemerkte ich, dass mir die Mitschrift zu den Unterrichtseinheiten fehlte, die
ich wegen einer Grippeerkrankung verpasst hatte. Das war ärgerlich. Ich ahnte
zwar, dass ich diese Mappe nicht mehr allzu oft öffnen würde, aber wenn ich
über Lücken in meinen Notizen hinwegsah, konnte ich mir die ganze Sortiererei
genauso gut sparen.
Automatisch
griff ich nach dem Telefonhörer, um mich bei Jinxy nach der fehlenden
Mitschrift zu erkundigen. Ich machte mich auf einige spöttische Kommentare über
mein Streberverhalten gefasst und wollte schon anfangen, die Nummer zu wählen,
als mir einfiel, dass sich meine Freundin vermutlich gerade für die Party
fertig machte.
Die
Party für die Basketballspieler.
Die
Party, auf der sich vermutlich sogar Rasmus blicken lassen würde.
Unschlüssig
verharrte mein Zeigefinger einige Zentimeter von den Tasten entfernt in der
Luft, bis ein nervtötendes Tuten aus dem Telefonhörer drang und mich in die
Wirklichkeit zurückholte. Ich machte einen tiefen Atemzug und wählte.
„Jinxy“,
murmelte ich gepresst, nachdem sich meine Freundin gemeldet hatte. „Ich brauche
ein Kleid.“
Am
anderen Ende der Leitung erklang etwas, das sich wie ein Jodeln anhörte. „Ich
hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben!“, trällerte meine Freundin mir dann
ins Ohr. „Es hätte mich nicht gewundert, wenn du heute Abend deine Bücher
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