Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
vielleicht.
„Ist
doch nett hier“, stellte er zufrieden fest, nachdem er neben mir Platz genommen
und den Rücken gegen die Wand hinter uns gelehnt hatte.
„Klar.
Genau so hatte ich mir meinen ersten Ball vorgestellt.“
„Dachte
ich mir schon. Wen musstest du eigentlich versetzen, um mir jetzt Gesellschaft
leisten zu können?“
„Na
ja … Sam.“ Er runzelte die Stirn und sah mich fragend an. „Du weißt schon, mit
dem ich immer zu Mittag esse. Blond, blaue Augen …“
„Ach,
einer von der Sorte!“
Ich
musste lachen. „Okay, Punkt für dich. Aber im Gegensatz zu dir und deinem
Fräulein Wie-heißt-sie-nochmal sind Sam und ich wirklich befreundet.“
„Bleibt
die Frage, ob der arme Kerl das immer noch so sieht, wenn er merkt, dass du ihn
auf dem Ball sitzen gelassen hast.“
„Das
habe ich längst geregelt“, erklärte ich würdevoll und angelte möglichst
unauffällig mein Handy aus meiner Tasche hervor, um eine SMS an Jinxy zu
schreiben: Bin mit Rasmus in einer Rumpelkammer, bitte sag Sam, dass mir
schlecht geworden ist. Ich brauchte mehrere Versuche, bis ich die Worte
fehlerfrei getippt hatte, und als ich es endlich geschafft hatte, war ich so
erleichtert, dass ich sofort auf SENDEN drückte. Erst danach dämmerte mir, dass
ich den Text wohl besser noch etwas mehr ausformuliert hätte.
Glücklicherweise
schien Rasmus von meinem Kampf mit den viel zu kleinen Tasten nichts
mitbekommen zu haben: Während ich mit meinem Handy beschäftigt gewesen war,
hatte er die Tischtücher herumgeschoben, als wollte er sich damit ein Nest
bauen. Dabei erinnerte er mich ein wenig an den Rauhaardackel meiner Omi, der
immer die Kissen in seinem Körbchen hin und her schubste, bevor er sich endlich
darauf zur Ruhe bettete. Ich rechnete schon damit, dass Rasmus sich gleich
dreimal im Kreis drehen würde, um alles noch schön festzutrampeln, aber
stattdessen saß er plötzlich ganz still und sah mich unverwandt an.
„Im
Grunde tut mir dein Begleiter sehr leid“, gab er dann zu, und ich hätte eine
ironische Anschlussbemerkung erwartet, wenn seine Stimme nicht so ernst
geklungen hätte. Als leichtes Brennen in meiner Magengegend meldete sich das
schlechte Gewissen bei mir – ich konnte nur hoffen, dass Sam mein plötzliches
Entschwinden nicht falsch aufgefasst hatte. Trotzdem fragte ich beklommen:
„Wieso
denn?“
„Tja,
ich weiß, wie sich das anfühlt … wenn man glaubt, in einer Rivalität um ein
Mädchen den Kürzeren zu ziehen.“
„Hm?“,
machte ich und stützte meinen schweren Kopf auf eine Hand. Dann wurde mir
plötzlich klar, dass wir gerade dabei waren, das Gespräch zu beginnen –
diesen ganz speziellen, intimen Dialog, bei dem sich weibliche und männliche
Hauptdarsteller in Liebesfilmen näherzukommen pflegten. Nur dass dabei nie über
tote Exfreundinnen geredet wurde, sondern recht häufig über einen verstorbenen
Elternteil der einen Person, wozu die andere Person irgendetwas à la Er/Sie
wäre sicher stolz auf dich sagen konnte. Meine und Rasmus‘ Situation
verlangte da schon etwas mehr Fingerspitzengefühl. Um mich besser konzentrieren
zu können, richtete ich mich kerzengerade auf und schaute Rasmus aufmerksam an.
Der schien das allerdings gar nicht zu bemerken; während er tastend zu erzählen
begann, sah er nur auf seine Hände, die unablässig Fäden aus einem brüchigen
Tischtuch zogen.
„Dieses
Mädchen … Sophie, von der ich dir schon – oder besser gesagt: so gut wie gar
nichts erzählt habe … Ich war noch nicht lange mit ihr zusammen, als sie einen
anderen kennen gelernt hat. Er war richtig besessen von ihr und hat sie
ziemlich aggressiv umworben, und obwohl ich es hätte besser wissen müssen, habe
ich mich in diese Rivalität hineinziehen lassen. Zu dem Zeitpunkt habe ich noch
nicht gewusst, dass Sophie psychisch labil war; ich habe bloß bemerkt, dass
dieser Machtkampf an ihren Nerven gezerrt hat. Um ihr und mir selbst den Rest
dieser leidigen Geschichte zu ersparen, habe ich sehr plötzlich den Kontakt
abgebrochen. Kurz darauf habe ich erfahren, dass sie sich umgebracht hat.“
Ich
hielt den Atem an, als Rasmus mir einen Blick zuwarf. Darin lag so ziemlich
alles, was in seinem sachlichen Erzählton gefehlt hatte.
„Tabletten“,
fuhr er fort und hob dabei eine Schulter. „Danach hat sich … alles verändert.“
„Kann
ich mir vorstellen“, antwortete ich leise. Wieso nur schienen sich die
Hauptpersonen in diesen Liebesfilmen nie so schrecklich linkisch zu
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