Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
plötzlich verstummt, und ich konnte das verwirrte Gemurmel der
Schüler hören, mit dem sie auf die riesige Pfütze reagierten, die sich um die
Grotte ausbreitete. Das Hämmern von Professor Grabowskis breiten Absätzen auf
dem Parkett beschleunigte sich, aber da hatte Rasmus bereits die Rückwand der
Stoffhöhle hochgeschoben. Geduckt huschten wir zwischen künstlichen Bäumen und
überdimensionalen Pappmaché-Pilzen zum hinteren Ende des Saals und hatten den
Ausgang erreicht, noch bevor die Lehrerin in Gezeter ausbrach. Immer noch Hand
in Hand stolperten wir auf den Gang hinaus, der bis auf ein wild knutschendes
Pärchen glücklicherweise leer war. Ich schaute mich ratlos um, doch Rasmus
hatte inzwischen ein „Zutritt verboten“-Schild entdeckt und steuerte darauf zu.
Ich konnte gerade noch einen Blick auf sein triumphierendes Grinsen erhaschen,
da schubste er mich auch schon durch die Tür.
Bei
dem Raum dahinter handelte es sich um eine Art Abstellkammer, in der sich
übereinandergestapelte Tischtücher und Putzutensilien befanden. Interessiert
begutachtete Rasmus unser Versteck, bis seine Augen an meinem armen, triefenden
Elbenkostüm hängenblieben.
„Du
musst jetzt erst mal aus den nassen Sachen raus“, stellte er fest.
„Ha!“,
stieß ich spöttisch hervor. „Erstaunlich, wie routiniert das bei dir klingt.“
„Das
ist mein Ernst, es gibt hier keine Heizung, und in diesem Kleid holst du dir
mit etwas Glück eine Lungenentzündung.“
„Ach
was, mir ist eigentlich gar nicht kalt.“
„Sagte
sie und klapperte dazu mit den Zähnen.“
„Das
tue ich nicht !“
„Lily,
stell dich nicht so an. Du zitterst.“
Was
nicht allein daran lag, dass ich meterweise pitschnassen Stoff am Leib hatte.
Aber das musste ich ihm ja nicht unbedingt auf die Nase binden. „Und was ist
mit dir?“, fragte ich stattdessen angriffslustig, doch als Rasmus zögerte,
wurde ich gleich noch befangener.
„Mich
hat es gar nicht so schlimm erwischt“, meinte er schließlich gedehnt.
Ich
streckte die Hand aus und erwischte einen Zipfel seines Hemdes. Es gab ein
schmatzendes Geräusch, als sich der durchtränkte Stoff von seiner Brust löste.
„Wer stellt sich denn jetzt an?“
Rasmus
schien noch einen Moment lang zu überlegen, dann zuckte er mit den Schultern,
warf den Dracula-Umhang ab und öffnete seinen Gürtel. Zuerst hatte ich das
Gefühl, jeden Augenblick vor Verlegenheit im Boden versinken zu müssen, aber
schließlich sagte ich mir, dass man ja auch im Schwimmbad jede Menge Jungs in
nichts als knappen Shorts zu Gesicht bekam. Ich versuchte also völlig gelassen
zu wirken und ließ den Blick prüfend über Rasmus‘ Oberkörper wandern, nachdem
er sich seines Hemdes entledigt hatte. (Weiter nach unten zu schauen wagte ich
nicht.) Falls ich tatsächlich geglaubt hatte, irgendeinen Hinweis darauf zu
entdecken, warum er sich niemals vor seinen Teamkollegen umzog, wurde meine
Erwartung enttäuscht. Allerdings stellte sich die Frage, inwieweit man bei
einem derartigen Anblick von Enttäuschung reden konnte …
Reichlich
spät bemerkte ich, wie unverhohlen ich starrte. Rasmus verschränkte die Arme
vor der Brust – ich konnte deutlich erkennen, wie sein Bizeps dabei anschwoll –
und hob abwartend die Augenbrauen. Hastig begann ich an der Schnürung auf
meinem Rücken herumzufummeln, bis ich fühlte, dass mein Kleid ins Rutschen
geriet. Ich holte tief Luft und schickte ein rasches Stoßgebet gen Himmel, dass
ich Unterwäsche aus schwarzer Spitze trug … was tatsächlich einem Wunder
gleichgekommen wäre, weil ich so etwas gar nicht besaß. Zumindest aber bestand
die Möglichkeit, dass ich mir heute Morgen einen schwarzen Baumwollslip
gegriffen hatte und nicht – ich ließ mein Kleid nach unten gleiten und
erstarrte. Ja, genau. Hemdchen und Höschen von Hello Kitty.
Rasmus
verzog keine Miene. Ungerührt half er mir dabei, das Kostüm zum Trocknen über
die einzigen beiden Stühle zu breiten, die es in diesem Raum gab. Als das
erledigt war, nickte er einladend in Richtung mehrerer Tischtücher, die in
einem Winkel aufgestapelt waren und somit eine ganz gute Sitzgelegenheit boten.
„Nach dir“, sagte er höflich und wartete, bis ich an ihm vorbeigegangen war und
es mir auf den Tüchern bequem gemacht hatte. Bei jedem anderen Jungen hätte ich
das für einen Vorwand gehalten, um einen Blick auf meine Kehrseite zu
erhaschen, doch Rasmus‘ Gesichtsausdruck war absolut ernsthaft. Etwas zu
ernsthaft
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