Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
zwischen den Baumstämmen kaum mehr erkennen.
„Ich
habe fünfundzwanzig in Scheinen und“, ich drehte die Börse um und schüttelte
den kärglichen Inhalt auf meine Handfläche, „eins fünfzig in kleinen Münzen.
Könnten Sie nicht vielleicht eine Ausnahme machen …?“
„Schön.
Siebenundzwanzig, weil du es bist.“
Ich
stöhnte verzweifelt und scharrte im Bodensatz meiner Umhängetasche herum, aber
außer den typischen Krümeln, ein paar Büroklammern und Bleistiftstummeln war
dort nichts zu holen. Und Rasmus war nun nicht mehr zu sehen.
„Ich
bitte Sie!“, flehte ich schamlos. „Haben Sie doch Mitleid! Wurden Sie denn noch
nie betrogen?“
„Ähm“,
der Fahrer kratzte sich am Kopf, „nein. In so einem Szenario spiele ich wohl
eher im gegnerischen Team.“ Er langte nach hinten und öffnete die Türe. „Na
los, raus mit dir. Und verpass ihm einen feinen Tritt, dorthin wo’s schmerzt.“
Das
musste er mir nicht zweimal sagen. Ich sprang aus dem Auto, duckte mich unter
der Schranke durch und begann auf dem regennassen Trampelpfad in die Richtung
zu schlittern, in die Rasmus verschwunden war. Zunächst war ich zu beschäftigt damit,
mich auf den Füßen zu halten und die undichte Stelle in meinem linken Schuh zu
ignorieren, um zu bemerken, wie still es hier war. Erst nach einer Weile wurde
mir klar, dass das einzige laute Geräusch von meinen ungeschickten Schritten
herrührte: Die Forststraße lag nun bereits ein ganzes Stück hinter mir, und von
Rasmus war immer noch weit und breit nichts zu sehen. Unwillkürlich musste ich
daran denken, was Jinxy gesagt hatte, als wir uns einmal auf einem Schulausflug
an einen abgelegenen Ort verirrt hatten: Hier hört dich kein Mensch schreien
… und dabei hätte ich beinahe aufgeschrien, als mich plötzlich jemand grob
an den Haaren packte. Wie angewurzelt blieb ich mitten in einer Pfütze stehen
und tastete zitternd nach meinem Kopf, um erleichtert festzustellen, dass ich
mich bloß in einer Brombeerranke verfangen hatte. Ich riss mich los und
befreite meine Haare im Weitergehen von vertrocknetem Laub. Als der Weg eine
scharfe Biegung machte, blickte ich schließlich wieder nach vorne und erkannte,
dass ich am Rand einer Lichtung angelangt war. Mitten auf der herbstlich
braunen Wiese erhob sich ein etwa zwanzig Meter hohes Bauwerk, das mich ein
wenig an den Bergfried einer mittelalterlichen Festung erinnerte: Der Turm war
viereckig, ziemlich breit und aus dunklem Granit gefertigt, was ihm ein leicht
bedrohliches und auf jeden Fall sehr massives Aussehen verlieh. Dass dieser
Eindruck allerdings täuschte, verriet eine Tafel neben der Eingangstüre: Josfinenwarte,
1907. Betreten wegen Einsturzgefahr verboten.
So
merkwürdig es auch sein mochte, es gab keine andere Möglichkeit: Rasmus musste
sich in diesem Gebäude befinden. Ich konnte mir eigentlich keinen Grund
vorstellen, aus dem man sich bei klarem Verstand in einer einsamen, baufälligen
Aussichtswarte aufhalten sollte; aber worum auch immer es sich handelte, Rasmus
wünschte sich dabei bestimmt keine unangemeldeten Besucher. Deshalb ging ich
nicht zur Tür, sondern schlich zu einem der kleinen Fenster und stellte mich
davor auf die Zehenspitzen.
Es
dauerte einige Zeit, bis meine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten,
das im Innern des Turms herrschte. Erst nach und nach nahmen die Gegenstände
für mich Gestalt an, und ich begriff, dass dieses Gebäude wohl schon seit
Längerem nicht mehr als Aussichtswarte genutzt worden war: In der Mitte des
Raumes erinnerten nur noch Reste eines Geländers an die Wendeltreppe, die es
früher gegeben haben musste; stattdessen führte nun eine klapprig aussehende
Leiter ins Obergeschoß des Turms. Ein paar Schritte davon entfernt stand ein
zerbeultes Sofa, auf dem ein Eastpak Rucksack und ein zusammengeknüllter
schwarzer Sweater lagen. Ich erkannte die Sachen sofort – und im nächsten
Augenblick wurde ich auch auf eine Bewegung aufmerksam: Direkt neben einer
Armlehne des Sofas lag Rasmus auf den Knien.
Ich
musste an mich halten, um nicht sofort zu ihm zu laufen. Ganz offensichtlich
hatte er große Schmerzen, denn das Aufstehen fiel ihm schwer. Nachdem es ihm
allerdings gelungen war, sich am Sofa hochzuziehen, ließ er sich nicht darauf nieder,
sondern tastete sich bis zur Leiter vor. Langsam griff er nach einer Sprosse
und begann zu klettern. Ich glaube zu erkennen, dass seine angespannten
Armmuskeln zitterten, doch er hielt nicht inne, bis er schon
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