Verborgen im Niemandsland
Ich gehe jede Wette ein, dass auch er seine ganz besonderen Freuden für uns bereithält!«, sagte er mit grimmigem Spott.
»Nur so kommt man zu unvergesslichen Erinnerungen«, erwiderte Andrew im selben Tonfall und gab Silas das verabredete Zeichen, mit dem Abrollen des dicken Seils zu beginnen.
Sie brauchten mehr als eine Stunde, um das Seil über den Fluss zu ziehen. Nur unter größter körperlicher Anstrengung vermochten sie, es durch das Wasser zu zerren. Denn mit jeder Spanne, die Silas am anderen Ufer nachgab, wuchs die Last, die von der Strömung noch verstärkt wurde. Zudem goss es nun in Strömen, sodass sie kaum noch die Hand vor Augen sehen konnten.
»Ein Himmelreich für eine Winde!«, stöhnte Terence, der schon nach den ersten zehn, fünfzehn Yards meinte, ihm müssten gleich die schmerzenden Arme abfallen.
Andrew erging es nicht anders. Spätestens nach einer gewonnenen Länge von fünf, sechs Fuß mussten sie die Leine wieder sichern und eine Atempause einlegen, weil ihre Muskeln wegen Überanstrengung gegen jeden weiteren Zug rebellierten.
Als das Ende des dicken Seils endlich durch den Uferschlamm zu ihnen an Land kroch und sie es mit einer letzten Kraftanstrengung um den mannsdicken Baum wickelten, setzte auch schon die Dämmerung ein. Jetzt auch nur eine einzige Flussüberquerung mit dem Floß zu machen, daran war bei diesen Lichtverhältnissen nicht mehr zu denken. Wohl oder übel würden sie die Nacht allein am Westufer verbringen müssen - nass bis auf die Haut, ohne eine Plane über dem Kopf, die sie vor dem Regen hätte schützen können, ohne wärmende Kleidung und Decken und auch ohne einen einzigen Bissen, mit dem sie ihren nagenden Hunger hätten stillen können.
»Das haben wir nun von unserem Heldenmut!«, brummte Terence verdrossen. »Den Arsch werden wir uns abfrieren!«
»Schauen wir uns um, wo wir es uns für die Nacht gemütlich machen können, bevor wir nicht mal mehr die Hand vor Augen sehen«, sagte Andrew mit Galgenhumor.
Terence Rigby schnaubte. »Na, ich weiß nicht, ob >gemütlich< das passende Wort für das ist, was uns heute Nacht erwartet, Chandler!«
»Mag sein«, räumte Andrew mit einem leisen Auflachen ein. »Aber was hilft es, etwas lang und breit zu bejammern, was sich nun mal nicht ändern lässt? Und immerhin kannst du auch diese Nacht unter der Rubrik >Unvergessliche Erinnerungen verbuchen.«
Terence konnte nicht umhin, darüber zu lachen, und seine finstere Miene hellte sich auf. »Du hast schon Recht, Chandler. Machen wir das Beste aus dem, was nicht zu ändern ist.« Und als sie sich auf den Weg machten, um Ausschau nach einer geschützten Stelle zu halten, sagte er: »Ich kannte mal einen, der ist mit einem fröhlichen Pfeifen auf den Lippen zu seiner eigenen Hinrichtung marschiert. Hätte glatt ein Zwillingsbruder von dir sein können, Chandler.«
Keine hundert Schritte oberhalb des Baumes, um den sie das Führungsseil für das Floß gewickelt hatten, stießen sie auf eine dicht stehende Gruppe von Eukalyptusriesen mit viel Unterholz und einem Dickicht aus Büschen, die gottlob frei von jenen langen, pfeilspitzen Dornen waren. Hier sammelten sie abgefallene Äste und laubreiche Zweige zusammen und bauten sich einen primitiven Unterstand, der ihnen wenigstens etwas Schutz vor Wind und Wetter bot. Zu ihrer großen Erleichterung hörte der Regen etwa eine Stunde nach Einbruch der Nacht endlich auf. Auch der Wind legte sich und schlief schließlich völlig ein.
Eine ganze Weile drehte sich ihr Gespräch um den Treck und die Hoffnungen, die sie sich machten. Bisher hatten sie noch nicht genügend Zeit miteinander verbracht, um sich näher kennen zu lernen und auch privatere Dinge auszutauschen. Dass sie gemeinsam den Fluss bezwungen hatten und nun getrennt von ihren Familien die Nacht unter diesen misslichen Umständen verbringen mussten, schuf eine Art Nähe und das Gefühl eines besonderen kameradschaftlichen Zusammenhalts.
Nachdem Andrew von den Nachstellungen durch Lieutenant Danesfield und Captain Grenville sowie vom Tod seines Vaters und der völligen Vernichtung ihrer Farm am Hawkesbury erzählt hatte, revanchierte sich Terence Rigby für seine vertrauensvolle Offenheit, indem er ihm von seinen Jahren auf See berichtete und wie er um ein Haar an der Rah seines Schiffes geendet hätte, weil er es gewagt hatte, einem tyrannischen und sadistischen Bootsmann die Stirn zu bieten. Auch wusste er grauenhafte Geschichten von seiner Zeit auf einer
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