Verborgen im Niemandsland
lockere Gemeinschaft von Siedlern, die über die wenigen Regeln, die wir beschlossen haben, hinaus keinem irgendwelche Vorschriften machen wollen und auch nicht machen dürfen. Niemand kann Henry das Recht verwehren, sein Haus in eine Taverne zu verwandeln. Und Schankwirt zu sein ist nichts Anstößiges und Unehrenhaftes, wenn man mal von jenen Halsabschneidern absieht, die in den Rocks und anderswo ihr Unwesen treiben.«
Abby schloss sich seiner Meinung an, und als sie wenig später wieder mit ihrem Mann allein war, sagte sie: »Wenn man es recht betrachtet, ist das gar keine so dumme Idee von Henry gewesen, hier die erste Taverne zu eröffnen. Ich bin sicher, dass so manch einer von den Siedlern sich gern zu einem Glas bei ihm einfinden wird, wenn sich die erste Aufregung einmal gelegt hat. Das sind alles doch recht raue Burschen, die es mit uns nach Australien verschlagen hat. Und wenn später einmal andere Siedler unserem Beispiel folgen und sich hier niederlassen, kann er sicher sein, dass seine Taverne nicht unter mangelndem Zuspruch leiden wird.«
Andrew seufzte. »Ich fürchte, dass du Recht hast. Hoffen wir nur, dass Henry seine Schenke wenigstens ehrlich führt und den Leuten nicht irgendeinen fürchterlichen selbst gebrannten Fusel auftischt, der ihnen das Hirn zerfrisst und das Augenlicht zerstört, wie es so mancher von den skrupellosen Schankwirten in Sydney tut!«
Es kam, wie Abby vermutet hatte. Die allgemeine Aufregung und Empörung, dass Henry sie über seine wahren Absichten die ganze Zeit getäuscht hatte, legte sich schnell. Und als dann seine Frau wenige Wochen später im Juli beim Roden eines Dickichts von einer giftigen Schlange gebissen wurde, noch am selben Tag starb und für sie das erste Grab im Frangipani Valley ausgehoben werden musste, spülten die Betroffenheit und das Mitleid mit Henry auch noch den letzten Rest ihrer Vorbehalte hinweg. Sogar Andrew und Terence begaben sich nach der Beerdigung auf ein Glas in die primitive Taverne an der großen Schleife des Stony River.
Abby nahm ihre Arbeit im Gemüsegarten wieder auf, während sie darüber nachdachte, was sich seit jenem Gespräch im Juni und seit Janes Tod im Juli nicht noch alles in ihrem Tal ereignet hatte - und gottlob überwogen dabei die erfreulichen Ereignisse!
Jessica Rigby, die unter der Fehlgeburt sehr gelitten hatte, befand sich wieder in anderen Umständen und würde ihr Kind, sofern die Schwangerschaft weiterhin so problemlos verlief, gegen Ende des Sommers zur Welt bringen. Und auch Megan hatte vor einigen Wochen voller Freude verkündet, dass sich auch bei ihr wieder Nachwuchs einstellte. Nach den beiden Töchtern Jennifer und Henriett, die nun schon drei und viereinhalb Jahre alt waren, hofften sie und Timothy nun auf einen Sohn, einen Stammhalter. Zudem waren bei den Siedlern ein halbes Dutzend Lämmer geboren worden, die Kuh der Browns hatte gekalbt und bei ihnen auf Bungaree war ihre Stute Lucy trächtig.
Andrew kam mit dem Fuhrwerk vom Waldrand zurück, entlud die Bretter und Pfähle, die er dort in stundenlanger Arbeit gesägt hatte, ließ den Ochsen auf die Weide und kam dann zu ihr herüber.
Voller Stolz und Liebe sah sie zu ihm auf, als er über die Anhöhe kam, dabei den Hut abnahm und sich im Gehen mit der gespreizten Hand durch die Haare fuhr. Er hatte mit nacktem Oberkörper gearbeitet, der so braun gebrannt war wie sein Gesicht und seine Arme. Seine Muskeln glänzten im Sonnenlicht. Wie gut ihr Mann doch aussah! Und wie kräftig und selbstbewusst er doch war und mit welch unbändiger Lebensfreude erfüllt. Manchmal erschien es ihr wie ein unwirklich schöner Traum, dass ausgerechnet sie, das Sträflingsmädchen Abby Lynn, seine Liebe errungen hatte und mit dem einzigartigen Glück gesegnet worden war, das Leben mit ihm zu teilen - und das Wunder der Leidenschaft, die ihnen ihren Sohn geschenkt hatte und hoffentlich noch weitere Kinder schenken würde.
»Lass es für heute gut sein! Morgen ist auch noch ein Tag!
Du hast dich heute wahrlich genug abgerackert!«, rief er ihr zu, noch bevor er die ersten Reihen ihres Gemüsegartens erreicht hatte.
Nur widerstrebend ließ Abby von der Arbeit ab. »Manchmal denke ich, es nimmt einfach kein Ende. Hat man das eine erledigt, warten schon längst ein halbes Dutzend anderer Aufgaben, die danach schreien, in Angriff genommen zu werden! Und wie man sich auch plagt, es bleibt immer noch so viel liegen, was eigentlich getan werden müsste«, sagte sie mit
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