Verborgen im Niemandsland
beiden Seiten gleich lange Bänke standen.
Mit finsterem Blick starrte Cleo in ihren mit Rum gefüllten Blechbecher, während ihr der Schweiß aus den Achselhöhlen rann und sich die dunklen, feuchten Flecken auf ihrem Kleid wie ein rasch wuchernder Schimmelpilz an den Seiten und zwischen ihren Brüsten ausbreiteten. Sie saß nun schon vor ihrem dritten Becher Rum, ohne dass sie eine Wirkung verspürte. Und dabei wünschte sie sich an diesem heißen Novembertag nichts mehr, als sich sinnlos zu betrinken und ihren ohnmächtigen Zorn im Alkohol zu ertränken. Denn Abby und ihr Mann befanden sich noch immer auf freiem Fuß! Und dieses verfluchte Offizierspack, nämlich Danesfield und Grenville, hatte noch keinen Finger gerührt, um ihrer endlich habhaft zu werden und sie hinter Schloss und Gitter zu bringen, ja, besser noch an den Galgen, nachdem man sie vorher ans Dreibein gebunden und bis aufs Blut ausgepeitscht hatte! Nichts, rein gar nichts war in den vergangenen Monaten geschehen! Und dabei brach morgen schon der Dezember an!
»Die Pest und Krätze über diese Bande elender Zauderer!«, fluchte Cleo leise vor sich hin und nahm einen kräftigen Schluck aus ihrem Becher, während drei recht ordentlich gekleidete Männer am anderen Ende ihres Tisches Platz nahmen und der Wirtsfrau ihre Bestellung zuriefen. Den Äußerungen nach, die Cleo aufschnappte, handelte es sich bei ihnen um Farmer, die aus einer Siedlung westlich von Parramatta kamen und etwas in Sydney zu erledigen hatten. Was genau sie in die Stadt geführt hatte, bekam sie nicht mit, und es interessierte sie auch nicht.
»Bring mir noch mal dasselbe!«, rief sie Sally zu und kippte den Rest aus ihrem Becher auf einen Zug hinunter. Und nachdem die Wirtsfrau ihren Becher aus einer großen Kanne wieder aufgefüllt hatte, versank Cleo wieder im Strom ihrer finsteren Gedanken, die an ihrer Seele fraßen wie der scharfe Rum an ihren Eingeweiden.
Sie hatte fest damit gerechnet, dass die Salisbury und mit ihr der angeforderte Bericht über den Verbleib von Abby Lynn Chandler spätestens im September von Norfolk Island eintreffen würde und dann unverzüglich die Suche nach den Chandlers begann. Aber ihre Hoffnung war bitter enttäuscht worden.
Die Salisbury war wenige hundert Meilen vor der Insel in einen schweren Sturm geraten, der das Schiff übel zugerichtet hatte. Orkanartige Sturmböen hatten den Hauptmast wie einen dünnen Kienspan geknickt, noch bevor der Captain Zeit gehabt hatte, die Mannschaft aufentern und alle Segel einholen zu lassen. Dass die Bark im Sturm nicht gesunken war, grenzte an ein kleines Wunder. Leckend wie ein Sieb, hatte sich die Salisbury mit Mühe und Not in den Hafen der Insel retten können, wo die Mannschaft nun möglicherweise Monate damit beschäftigt sein würde, die Schäden zu reparieren und sie wieder in einen seetüchtigen Zustand zu versetzen.
Dass die Nachricht davon schon im September in der Kolonie eingetroffen war, verdankten sie einem englischen Walfänger, der in der Sydney Bay vor Anker gegangen war, um seine Wasservorräte aufzufüllen. Dieser hatte den Kurs der Salisbury kurz vor ihrem Einlaufen in den Hafen der Sträflingsinsel gekreuzt. Aber wann mit der Rückkehr des Schiffes zu rechnen war, ob noch vor Ende des Jahres oder erst irgendwann im Januar oder gar später, hatte niemand zu sagen vermocht.
Cleo knirschte vor Wut mit den Zähnen, als sie daran dachte, wie lange sie jetzt vielleicht noch warten musste, bis der Bericht aus Norfolk endlich vor Danesfield und Grenville lag und sie etwas unternahmen. Sogar das verdammte Wetter hatte sich gegen sie verschworen!
Plötzlich horchte sie auf. Die Stimmen der drei Farmer waren lauter geworden, weil vorn an der Theke eine Gruppe von Seeleuten fröhlich lärmte.
»... und ich sage euch, die haben so viele Vorräte bestimmt nicht zusammengekauft, weil sie Angst gehabt haben, nicht über den Winter zu kommen!«, versicherte einer der Männer, dessen breiter rötlicher Backenbart ein zerfurchtes Gesicht einfasste, mit Nachdruck. »Ein ganzes Fass Salz, mit dem man eine halbe Herde Schafe hätte einpökeln können, hat der eine von ihnen gekauft. Auch für Tee und andere Sachen haben die beiden mehr Geld hingelegt, als ich je auf einem Haufen gesehen habe!«
Cleo spitzte die Ohren und rückte ein wenig zu ihnen hinüber, um ihr Gespräch noch besser mithören zu können. Und mit jedem Wort, das der Rotbärtige von sich gab, wuchs ihre Erregung.
»Vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher