Verborgen im Niemandsland
die Reste hergemacht hatten. In der Natur blieb nichts ungenutzt, was irgendeinem Lebewesen als Nahrungsquelle dienen könnte. Des einen Tod war des anderen Fressen. So verlief der ewige Kreislauf von Leben und Sterben nun mal.
Sie schlugen ihr Nachtlager in einer hoch gelegenen Senke auf, brieten einige Stücke gepökeltes Hammelfleisch, das sie zusammen mit einigen Scheiben Maisbrot verzehrten, und spülten das Ganze mit süßlichem Sarsaparolla-Tee hinunter.
Abby schlief schlecht in dieser Nacht. Unruhig und von wirren Träumen heimgesucht, wälzte sie sich hin und her. Erst als Andrew sie in seine Arme zog und sie geborgen an seiner Brust lag, ließen die beklemmenden Träume von ihr ab und sie sank in einen ruhigen und tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen, der sie mit einem leichten und trockenen Wind begrüßte, waren sie schon auf den Beinen, bevor die ersten Sonnenstrahlen nach den Bergkuppen griffen und die Dunkelheit über den bewaldeten Hängen vertrieben. Vor ihnen lag zerklüftetes Gelände, das ihrem kleinen Treck ein ständiges Auf und Ab aufzwang.
Es war wohl um die vierte Morgenstunde, als sie gerade einen Berghang erklommen hatten und Terence, der an der Spitze ritt, plötzlich sein Pferd zügelte, warnend die Hand hochriss und sein Pferd hastig zurück in den nächsten Baumschatten führte.
»Was ist?«, rief Andrew mit gedämpfter Stimme, während er augenblicklich das Gespann zum Stehen brachte.
»Soldaten!«, rief Terence leise zurück.
Douglas, der neben dem Wagen ritt und sich mit Andrew und Abby unterhalten hatte, stieß ungläubig hervor: »Hier? Unmöglich !«
Abby lief ein Schauer über den Rücken, wusste sie doch, dass Terence viel zu gute Augen besaß, um sich seiner Sache nicht sicher zu sein.
»Bring das Fernrohr mit!«, sagte Andrew leise zu Abby, wickelte die Zügel um die eiserne Bremsstange und sprang vom Kutschbock, um zu Terence zu laufen. Dieser hatte indessen sein Pferd zwischen den Bäumen angebunden und war dann wieder zum höchsten Punkt der Bergkuppe gekrochen, wo er nun hinter einem Strauch bäuchlings in Deckung lag.
Douglas und Andrew schlichen sich an seine Seite. Und Sekunden später lag auch Abby zwischen den Männern und blickten in das schmale Tal hinunter, das vor ihren Augen lag.
»Allmächtiger! Es sind tatsächlich Soldaten im Anmarsch!«, stieß sie bestürzt hervor.
»Ich zähle elf Rotröcke und zwei andere Gestalten, die aber keine Uniform tragen. Ihr auch? Ein allzu großes Kommando ist es jedenfalls nicht. Mit denen können wir fertig werden, wenn es hart auf hart kommt - und das wird es wohl«, sagte Douglas gequält.
»Wie zum Teufel sind sie bloß auf unsere Spur gekommen?«, fragte Terence fassungslos.
»Gib mir das Fernrohr, Abby!«, flüsterte Andrew ihr mit belegter Stimme zu.
Die Rotröcke hatten unten im Talkessel an einem kleinen Wasserbecken Halt gemacht, das von einer klaren Bergquelle gespeist wurde, die aus einer nahen Felswand hervorsprang. Sie füllten gerade ihre Wasserschläuche und eine große Tonne auf, die zwei Soldaten von dem Wagen wuchteten, den sie mit sich führten. Auch ein leichtes einachsiges Gespann war, etwas abseits von dem felsigen Wasserbecken bei einer Gruppe von Büschen stehend, recht deutlich zu erkennen. Dort stand auch eine Gestalt, aber die war hinter den Ästen nicht näher auszumachen.
»Verdammt, das ist kein anderer als Lieutenant Danesfield!«, entfuhr es Andrew, als im kleinen Rund des Fernrohrs das von Hitze gerötete Gesicht des Offiziers auftauchte.
Danesfield! Abby spürte, wie sich in ihrer Magengegend ein flaues, an Übelkeit grenzendes Gefühl ausbreitete. Denn sie wusste sofort, dass seine Suche ihr und Andrew galt. Es konnte gar nicht anders sein! Aber woher, in Gottes Namen, hatte er bloß von dem geheimen Treck erfahren und dass sie und Andrew daran teilgenommen hatten?
Die Antwort auf diese Frage gab Andrew im nächsten Moment. Er hatte das Fernrohr weiter zum Wagen geschwenkt und nun den Mann im Blick, der dort noch auf dem Kutschbock saß.
»Nein!«, keuchte er, und er zuckte regelrecht zusammen, als hätte ihn ein Schlag getroffen. »Das kann doch nicht wahr sein!« Er rang sichtlich um Fassung.
»Was siehst du?«, fragte Terence.
»Henry!... Henry Blake ist bei ihnen!«
»Was?«, kam es fast einstimmig aus dem Mund von Abby, Douglas und Terence. Der Schock überfiel sie wie eine eisige, atemnehmende Woge, die über ihnen zusammenschlug.
»Ja, da sitzt er!... Er lebt!...
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