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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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legte wieder an. Visierte an dem Doppellauf entlang. Löste die Sicherung. Machte sich bereit.
    Genau in dem Moment, als er feuerte – so schien es ihm –, sprang das Tier zur Seite. Die Bewegung war träge, so sorglos grazil und unbedacht schön, dass er aufschrie, mit einer Stimme zwischen Verzweiflung und Bewunderung. Und dann zuckte das Tier, wand sich in seiner ganzen Länge und stürzte hin, und seine Stimme erhob sich lauter als die des Jägers, reiner und klarer. Höher und immer höher stieg sein Schrei, während die Hügel vom Donner der Waffe widerhallten.
     
Am Morgen fläzten sie auf den Stühlen vor der einzigen Taverne in Afision. Sie hatten fünf Stunden lang getrunken – der Besitzer hatte anfangs gegrummelt, weil er schon dabei war zu schließen, als sie ankamen, und ihnen sogar den ersten Drink missgönnt, sich dann aber doch für Eberhards Bestellungen erwärmt, für den bar auf die Hand bezahlten Vorschuss für Weinbrand aus Gläsern und aus der Flasche, für Brot, Oliven, kalten Braten und Wein – den besten Wein, den er aufbieten konnte, Asirtiko von den Kykladen, Mavrodaphne, dunkel und süß wie Schokolade, und vier Flaschen von einem alten Chablis, der noch in Ordnung war – er war in besseren Zeiten gekauft worden und hatte seither auf dem Bord über dem bierfleckigen Tresen Staub angesetzt, an dem der Besitzer bei laufendem Fernseher ein Nickerchen hielt, während sie die Nacht durchmachten.
    Die Kerzen waren blakend erloschen. Die aufgehende Sonne kroch über ihre Überreste. Der Besitzer war wieder herausgekommen, mit Kaffee, Schmalzgebäck und hohen Gläsern Spartina. Natsuko sammelte Wachs und knetete Figuren daraus: eine o-beinige Familie von Hunden, Frauen und Männern. Eleschen sonnte sich, die ausgestreckten Beine auf die Tavernenstufen gestützt. Eberhard und Max spielten Schach, als wollte jeder von beiden beweisen, dass der andere betrunken und er selbst nüchtern war. Und Jason redete immer noch, hatte keine Sekunde aufgehört zu reden, seit sie aus der Lichtung im Wald herabgekommen waren, die Köpfe voller Mondlicht und Schießpulver.
    »Der Hund war gut. Guter Hund , jawohl, das warst du! Stimmt doch, oder? Ich meine, ohne sie hätten wir’s nicht geschafft. Wie sie auf ihn losgegangen ist. Als ob sie in seinem Kopf säße. Wie einer dieser Flugkörper von den Amis. Mit fünfzigtausend Sachen ins Garagentor. Da hast du dich geirrt, Max, gib’s zu!«
    Max nippte von seinem Kaffee und schwankte zwischen einem Springer und einem Bauern. »Der Hund war gut.«
    »Total daneben hast du da gelegen. Und Ben! Wie war Ben, hm? Da haben wir alle falsch gelegen.«
    »Jason«, sagte Eleschen gedehnt. Sie hatte ihre Sonnenbrille aufgesetzt, die Hosenbeine hochgerollt und ihr Hemd verknotet und ließ sich von der Sonne Bauch und Beine bescheinen. »Du bringst ihn in Verlegenheit.«
    »Eher wohl uns.«
    »Jedenfalls dich.«
    Er trat von hinten an Bens Stuhl, beugte sich über ihn wie ein Betrunkener und umarmte ihn, sein Bart rau und sein Atem nach halb verdautem Wein riechend. »Hat einen kühlen Kopf behalten, während alle anderen ihn verloren haben, stimmt’s? Beinahe hätten wir dich nicht mitgenommen, weißt du. Wir dachten, du würdest das schwächste Glied in der Kette sein. Meine Stimme hat den Ausschlag gegeben. Und dann stellt sich raus, dass du ein Teufelskerl bist, unser bester Mann … Das war ein verdammt guter Schuss. Wie du dir Zeit gelassen hast. Abgewartet. Du bist einfach ein Superkiller. Findest du nicht auch, Eb?«
    Keine Antwort. Sauer lehnte sich vom Schachbrett zurück, wartete immer noch auf Max’ nächsten Zug, in der Hand ein leeres Glas, sein Stuhl zu den Autos und der Straße hin gedreht.
    »Eb?«, sagte Jason noch einmal, und Eberhard zuckte zusammen und wischte sich das Gesicht ab. Die Luft war immer noch kühl. Trotzdem schwitzte er.
    »Es war saubere Arbeit.«
    »Ist das immer so?«, fragte Ben. »Auf der Jagd?«
    »Nein. Die Intensität ist proportional zur Wildheit des Spiels.«
    »Meinst du, die Spartaner haben es manchmal auch so erlebt?«
    »Ja, ich glaube schon«, sagte Eberhard, und Jason beugte sich wieder über Ben und kam beinahe aus dem Gleichgewicht. Er war fast nicht zu verstehen.
    »Wir sind jetzt die echten Spartaner.«
    »Und wenn da noch mehr Schakale sind?«, fragte Natsuko. Sie baute ihre Hunde und Menschen in einem Kreis auf, Mensch – Hund, Mensch – Hund, so sorgsam, als seien es Votivgaben.
    »Dann gehen wir wieder auf die

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