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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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Und Max nein, aber der entwickelt ja geradezu religiösen Ehrgeiz darin, allen und jedem zu misstrauen.«
    »Ist da irgendwas in den Höhlen?«
    »Ja.«
    »Da ist was.«
    »Habe ich doch eben gesagt. Ja.«
    Kurz hatte er das Gefühl, wieder gestürzt zu sein, ihm ging die Luft aus. Er holte tief Atem und lehnte sich zurück, durchlebte einen Augenblick des puren Triumphes. Geehrt, ja: so fühlte er sich. Als ob ihm soeben ein leises, lang ersehntes Wort des Lobes zuteil geworden wäre.
    Eberhard nickte ihm zu, gleichmütig und amüsiert. »Dann vertrauen wir einander jetzt also. Ich hab’s immer gewusst, dass wir dahinkommen. Du hast die Anlagen dazu. Hast immer den Eindruck gemacht, als suchtest du nach etwas, in das du dein Vertrauen setzen kannst. Nach einem Ziel. Für manche ist diese Suche sehr mühsam. Sie empfinden es als eine Last, an nichts zu glauben. Du hattest zumindest einmal deine Ehe …«
    »Was ist es?«
    »Das ist schwer zu beschreiben.«
    »Welche Periode? Ist es etwas Klassisches?«
    Eberhard schüttelte lachend den Kopf. Er hatte sich wieder halb zu dem ausgelassenen Engländer umgedreht. Schließlich fixierte er Ben, die Augen funkelnd vor Erregung. So aufgekratzt hatte Ben ihn noch nie erlebt. Er beugte sich vor, strich die Papiertischdecke mit seinen immer noch gespreizten Händen glatt und flüsterte:
    »Es ist nicht mit Gold aufzuwiegen.«
    »Sag schon, was es ist.«
    »Nein. Das siehst du dir besser selbst an.«
    »Du zeigst es mir?«
    »Ja.«
    »Wenn wir wieder zurück sind?«
    »Wenn wir wieder zurück sind. Die Chance hast du dir verdient, Ben. Die anderen werden sicher einverstanden sein.«
    »Versprochen?«
    »Ich verspreche, sie zu fragen, auch wenn wir das Thema schon oft genug diskutiert haben. Ich weiß, wie sie darüber denken. Und jetzt hätte ich gern noch einen Drink. Einen Scotch, wenn du einen auftreiben kannst, gern auch zwei, wenn du mir Gesellschaft leistest. Hättest du Lust?«
     
Irgendwie fehlte ihnen die Zeit, um es nochmals zu dem geheimen Strand zu schaffen. Morgens überredete Natsuko ihn, mit ihr zur Frühmesse zu gehen; alle außer Jason absolvierten den atemberaubenden Aufstieg zu der weißen Kuppelkirche mit dem schimmernden Kerzenglanz in ihrem Innern, der ihm fast so geheimnisvoll erschien wie früher in seiner Kindheit, dazu der starke Duft von Bienenwachs und Myrrhe. Der junge Priester lächelte scheu durch seinen Rauschebart und verteilte Segenssprüche für Reisende und Sterbende, neue Autos und Regen. Jason lag immer noch im Bett, als sie zurückkamen, und sie vertrödelten die Zeit bis nach der Mittagsstunde, entledigten sich ihrer Kirchengarderobe: Eleschen erschien üppig und verrucht in ihrem zu kurzen Hotelmorgenmantel, Ben ruhte sich gähnend faul auf seinen prachtvollen Blessuren aus. Alle außer Eberhard spielten unter Jasons schläfriger Aufsicht eine Art Poker und zogen dann hinunter auf den Platz, wo der Nachmittag in einer Abfolge von Bieren, Frappés, offenem Hauswein und Platten mit süßlich-scharfem, gebackenem Tintenfisch an einem zugigen Tisch am Ende der Mole verging.
    Es war acht, bis sie losfuhren, und lange nach Mitternacht, als Ben aufwachte und Berge vor dem Sternenhimmel sah, die Silhouetten von Parnon und Taygetos so vertraut und unverwechselbar wie die von Westminster. Ihr schwarzer Ring, der sich um ihn schloss, hatte nichts Bedrohliches oder Beengendes mehr. Die Straßen, die mickrigen Läden, die Kolonnaden, die Hoteltreppe, alles war bekannt und anheimelnd, bot Schutz und Zuflucht.
     
Die Prellungen wuchsen und gediehen. Am folgenden Morgen zierten sie ihn vom Hüftknochen bis zum Brustbein, Blutergüsse und Quetschungen in Giftpilzgrün und Wedgwoodblau. Auf seinen Rippen malten sich weiterhin zwei dunkle Tigerstreifen ab wie auf einem Röntgenbild. Fünf Tage lang arbeitete er auf Anweisung von Missy statt in den Gruben mit Natsuko in der Fundhütte.
    In dieser Zeit dachte er ununterbrochen an die Höhle, verzehrte sich danach, sie zu sehen. Doch Eberhard ließ ihn schmoren, tat nichts, runzelte nur die Stirn, als Ben ihn ein einziges Mal darauf ansprach, und knurrte Noch nicht ; dann verschloss sich sein Gesicht wie ein Visier, als sei es unverzeihlich, die Höhle überhaupt zu erwähnen.
    Er beschäftigte sich mit diesem und jenem, inventarisierte Muschelschalen, reinigte Knochen aus dem frühen Mittelalter – und plötzlich war es wieder da, packte ihn wie der Anblick von Blut, erschreckte ihn nicht nur, weil es

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