Verborgen
schüttelte den Kopf und beugte sich näher zu ihm hin, lächelte – jetzt sah er es. »Okay. Also, bist du glücklich?«
»Ja.«
»Glücklich, dass du bei mir bist?«
»Ja. Ich bin so stolz auf dich.«
Es war April geworden.
Morgens, wenn er aufbrach, und abends, wenn er zurückkehrte, wirkte der Ort lustlos; die Hoteliers und Ladenbesitzer waren ungeduldig und zerstreut, die Menschenmengen auf den Plätzen wie in Lauerstellung, die großen Straßen hielten den Atem an. Ostern stand vor der Tür. Alles wartete.
Über Nacht – so schien es ihm anfangs – griff die Ungeduld auch auf die Ausgrabung über. Die Reste der Hochstimmung, der trägen Euphorie, die sie von Pylos mitgebracht hatten, hielten drei Tage an. Donnerstagmorgen waren sie aufgebraucht, und etwas Neues trat an ihre Stelle.
Zuerst fiel es ihm bei seinen Freunden auf. Die allgemein gespannte Erwartung schien sie mit Macht zu erfassen. Missy wies keine Symptome auf, war planlos und abgespannt, doch Eleschen stand unter Strom, begeisterte sich für seltsame Dinge – eine neue, abseits gelegene Grabung hinter dem Ziegenpfad, wo sie als Erstes einen Schweinskopf fanden. Selbst Natsuko war an diesem Morgen beim Aufwachen still und in der Hütte den ganzen Tag mit den Gedanken woanders. Max schottete sich ab, vergrub sich in Arbeit oder in Zeitungen, die er mühsam im Wind zusammenhielt. Bei den anderen schlug die Stimmung unvermittelt und ohne Vorwarnung um; eben quasselte Jason noch wie ein Weltmeister, im nächsten Moment knurrte er nur noch. Eberhard reagierte kalt und reserviert, wenn jemand wagte, das Wort an ihn zu richten.
Erst frustrierte es ihn, wie Sauer ihn hinhielt. Dann fand er es verwirrend, seine Ungeduld mäßigte sich zu Unbehagen. Es war ein neuer Abstand zwischen ihnen, zwischen ihm und dem Rest, sogar zwischen ihm und Natsuko, nicht die alte Unfreundlichkeit, sondern vielmehr eine frische Wachsamkeit. Die Vorstellung, sie alle womöglich zu verlieren, ohne je zu erfahren, warum, machte ihm Angst. Waren sie wegen Eberhards Versprechen an ihn in Streit geraten, oder beschäftigten sie momentan schlicht andere Dinge und ließen keinen Raum für ihn? Manchmal jedoch kam es ihm vor, als hätte die Stimmung sich gar nicht verändert. Vielleicht schwelten die Spannungen ja schon länger, als er wusste, und über Nacht war nichts weiter eingetreten als der Moment seiner Erkenntnis.
Am Freitag hatte er immer noch Mühe beim Aufstehen, er meckerte über nichts und wieder nichts, und die Schmerzen machten ihn so zänkisch, dass ihn Natsukos Drohung, sie werde jetzt Jason und Eleschen abholen und ihn danach nur an Bord nehmen, wenn er mit dem Genörgel aufhöre, nicht weiter verwunderte.
Als er herunterkam, den Wagen vor dem Hotel warten sah und sich kleinlaut nach draußen begeben wollte, rief Marina ihn zurück zur Rezeption und tippte auf einen Zettel in ihrer Hand.
»Für Sie.«
»Sind Sie sicher?«
»Po-po-po!« , machte der Kakadu; sein rosa Kamm flammte, als sei er giftig, und Marina klackerte mit den Nägeln an den Gitterstäben entlang.
»Natürlich bin ich mir sicher. Jetzt kommt endlich eine Nachricht für Sie, und Sie wollen sie nicht mehr?«
Es war eine Ansichtskarte vom Parthenon, auf die jemand mit Kugelschreiber den Fries der Elgin Marbles eingezeichnet hatte. Die Schrift war groß, schräg und geschwungen, so wie die von Emine, aber es war nicht ihre.
Lieber Ben,
Athen ist der Hammer!
Hast du Lust, zum Abendessen zu kommen? Ich weiß, dass du momentan viel zu tun hast, aber ich brauche ein paar Anregungen von dir. Hast du heute Abend schon was vor? Sonst geht es auch jederzeit wann anders. Nur du – hoffe, das ist okay, aber meine Wohnung ist echt winzig.
Vermutlich weißt du meine Adresse gar nicht:
~ Cosmos Appartements 9, Oreas Elenis 42 ~
Das ist beim Busbahnhof. Lass dir ordentlich Platz für Moussaka, alles Liebe,
Missy xx
Draußen hupte es zweimal. Er steckte die Karte zusammengefaltet ein, bevor er die Tür zur Straße aufdrückte und Natsuko nach unten zuwinkte. Er küsste sie heftig, als er einstieg, überließ sich dann der üblichen Hektik und dem Lärm am Morgen und der Gesellschaft der vier.
Erst als sie oben in Therapne waren und neben Missys Wagen parkten, kam sie ihm wieder in den Sinn. Sie hatte ganz recht. Er war nie in ihrer Wohnung gewesen, wusste nicht, wo sie lag, hatte nie danach gefragt. Hatte sich nie überlegt, dass Missy schließlich irgendwo wohnen musste.
»Ben!
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