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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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Du hast es also gefunden! Komm rein, denk dir nichts wegen dem Chaos, ich weiß auch nicht, wo der ganze Müll herkommt, der bleibt mir immer auf den Fersen, ewig hab ich dieses Dreckszeug am Bein … Du, das Essen ist noch nicht so weit, bist du wohl so lieb und betrinkst dich schon mal für mich mit? Draußen auf dem Tisch steht Wein. Ein Roter, ist das okay? In meiner Familie sind sie alle allergisch, da bin ich immer gottfroh, wenn ich mir mal einen Roten gönnen darf. Ich brauch auch nicht mehr lange, okay?«
    Die Wohnung war klein und niedrig, sie lag im vierten Stock eines Fertigteilbaus; die Treppen und Verbindungsgänge draußen waren zugig und verrostet. Irgendwo nebenan brummte ein Fernseher vor sich hin. Der Tisch war für zwei gedeckt. Das knallbunte Wachstischtuch, der welke Christstern und das verblichene Postersortiment nahmen den vollgestopften Räumlichkeiten nichts von ihrer Reizlosigkeit. Er hatte etwas anderes erwartet: wenn schon nicht jede Menge Platz wie bei Eleschen, dann doch gediegene Gelehrtenatmosphäre wie bei Eberhard. Peinlich berührt nahm er sich schweigend der Weinflasche an.
    »Hab ich den Korkenzieher rausgelegt?«
    »Ich hab ihn gefunden.«
    »Super! Gieß mir auch was ein. Und, war’s schön in Pylos? Klang ja famos. Ich wär so gern mit euch mitgefahren.«
    Hinter der Durchreiche zwischen Wohnzimmer und Küche sah er Missy mit hochrotem Gesicht nervös in einen Mini-Ofen spähen.
    »Was ist mit Athen?«
    »Ach, weißt du, ich bin eigentlich kein Stadtmensch. Na, jedenfalls hab ich die Fördergelder für uns gekriegt. Laco ist supergut angekommen, alle waren hellauf begeistert. Die Götter der Tiefen Taschen waren uns freundlich gesinnt. Quecksilber ist Gold wert, wenn der Fund aus dem Späthelladikum stammt. Falls du in der nächsten Saison wiederkommst, wartet hier ein Loch mit deinem Namen auf dich.«
    »Das ist doch toll«, sagte er, einstudiert höflich. »Gratuliere.«
    »Danke! Hast du Hunger, Ben?«
    Er ging mit dem Glas in der Hand zu den Postern: größtenteils offenbar noch aus Studentenzeiten, die Ecken nach diversen Umzügen fleckig und von Reißzwecken durchlöchert. Audrey Hepburn in Abendhandschuhen. Kurt Cobain mit Flügeln. Muhammad Ali im Ring, turmhoch über seinen Gegnern.
    »Ben?«
    »Bärenhunger.«
    Das Löwentor von Mykene. Eine Hieroglyphen-Schautafel für Kinder. Einstein, das Haar unter Starkstrom, mit gütigem Blick an einem Schreibpult, darunter zwei Zeilen in verzierter Schreibschrift.
     
    Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.»
     
    Gefällt’s dir?«
    Sie hatte sich in ihren Hausschlappen angeschlichen und lächelte ganz leicht, die Arme fest um sich geschlungen, als stünde sie in Zugluft. Die Ofenhandschuhe, die sie noch anhatte, stellten Tierschnauzen dar: ein Krokodil und ein Zottelbär. Die Hitze in der Küche hatte ihre Wangen rosig gefärbt.
    »Das mochte ich auch immer besonders gern. An manchen Tagen ist es mein absoluter Favorit. Einstein war so weise, findest du nicht? Willst du dich noch ein bisschen weiter umschauen? Ich führe dich gerne rum. Wobei, so viel mehr gibt’s gar nicht. Nur das hier und das Schlafzimmer.«
    Sie stand dicht neben ihm; als sie ihn ansah, roch er ihre Fahne.
    »Vielleicht später«, sagte er, und sie lächelte, kurz und bitter.
    »Schon klar.«
    »Missy«, sagte er, verbot sich den Gedanken daran, wohin die zwei Silben sie als Nächstes führen würden, doch da klingelte es, und sie wandte sich ab.
    »Auf die Plätzchen, fertig, los!«, rief sie. »Setz dich, ich bringe das Essen. Ich nehme an, du möchtest von allem etwas?«
    Zunächst verlief die Mahlzeit wortkarg, es herrschte Stille bis auf das Klirren von Besteck, die Höhepunkte der Fernsehshow nebenan, Missys gemurmelte Fragen, ob er gern noch mehr Möhren oder Bohnen hätte, und sein Ja oder Nein. Gleich zu Anfang stieß er sein Glas um; Missy holte eilends ein Stück Küchenrolle und tupfte den verschütteten Wein auf, mit beruhigenden Lauten, als hätte er sich geschnitten. Der Tisch war so vollgestellt, dass jede Bewegung riskant erschien: ein ganzes Sortiment altmodischer Utensilien, Untersetzer und Serviettenringe und Warmhalter, Essig und Öl in einem gläsernen Flaschenset, Platzdeckchen und Serviervorlagen mit vier abblätternden Ansichten der Großen Seen bei Sonnenuntergang.
    Sie redete unvermittelt wieder munter drauflos, als hätte nicht bis eben trübsinniges

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