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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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von hier aus. Sie ist hoch und eng, und drinnen wächst ein Feigenbaum. Du wirst die Feige riechen, wenn wir nahe dran sind. Ich hab sie vor langer Zeit entdeckt. Ich bin als Junge immer hierher gekommen, wenn ich von allem wegwollte. Vor allem von meiner Familie. Es war so friedlich hier. Es gibt eindrucksvollere Höhlen, aber diese hat ihre Vorzüge. Sie ist einer der Gründe, warum wir überhaupt hier sind. Ich habe sie erwähnt, als Max mir zum ersten Mal sagte, dass er hierher gehen würde. Unsere Pläne waren bloße Theorie, bis er die Höhle mit eigenen Augen gesehen hat. Die Höhle hat ihn inspiriert. Und Max hat uns inspiriert.«
    »Ist sie sicher?«
    »Sicher genug. Pass auf, wenn du drin bist. Anfangs ist sie eng, aber weiter drinnen kann man stehen. Geh neun Schritte weit – zähl sie –, bevor du die Lampe anmachst. Später musst du dann wieder kriechen. Schau vorher in die Taschen, da findest du was zum Anziehen …«
    »Wieso, kommst du nicht mit?«
    Eberhard schüttelte den Kopf.
    »Wär mir aber lieber.«
    Eberhard nahm ihm den Becher aus der Hand und schüttete den Rest aus. »Du gehst besser alleine. Vielleicht brauchst du ein bisschen Zeit für dich. Nimm die Taschen mit. Denk daran, was ich gesagt habe. Du wirst selbst wissen, was sonst noch zu tun ist.«
    Die Rippen taten ihm weh, als er aufstand, die Prellungen waren jetzt eine Woche alt. Er nahm in jeden Arm eine Tasche und schleppte sich das letzte Stück hoch. Das Gebüsch wurde von Macchia abgelöst, und er drängte sich durch. Am Höhleneingang schaute er zurück. Er konnte Eberhard noch sehen, reglos vor den fernen Lichtern der lakonischen Ebene.
    Der Eingang lag hinter dichtem Gestrüpp, war eng und verjüngte sich nach oben hin. Er ließ sich auf alle viere nieder, so dass die beiden Taschen unter ihm baumelten. Die Erde war trocken und weich, wie der Sand in Pylos, an dem geheimen Strand. Er roch Fenchel, Feigen und Opuntien.
    Er kroch unter dem Gestrüpp durch. Die Zweige kratzten ihn am Rücken, nicht schmerzhaft, aber beunruhigend laut, als würden seine Kleider aufgerissen. Er senkte den Kopf, und irgendetwas – ein Insekt oder ein Vogel – flatterte auf und flog aus der Höhle. Ein Zweig schlug ihm ins Gesicht und verschwand.
    Als Erstes veränderte sich die Luft. Er spürte, wie sie sich abkühlte. Er kroch noch einen halben Meter weiter und hielt inne. Der Boden unter seinen Händen gab nicht nach. Er hörte das Echo seines Atems. Das Gestrüpp lag hinter ihm: Er musste in der Höhle sein.
    Vorsichtig richtete er sich auf, streckte eine Hand aus und schrie auf, als er auf die Knie fiel. Wo die Wände hätten sein sollen, waren nur Dunkelheit und Grabeskälte.
    Er tastete nach den Taschen. Einen schrecklichen Moment lang dachte er, die Taschenlampe sei weg, doch dann schlossen sich seine Finger um sie. Er riss sie aus der Schlaufe. Machte sie an.
    Rings um ihn erschien die Höhle. Die Wände waren knapp außerhalb seiner Reichweite. Das Gestrüpp verschloss den Eingang hinter ihm. Die gespenstisch anmutende abgestreifte Larvenhaut einer Zikade hing dicht vor seinem Gesicht an einem Zweig. Eine Taube drückte sich an eine der Wände, ein abgezehrtes Wesen – ein Flügel hing schief herab, und beide Füße waren zu Fäusten geballt. Hoch über ihnen beiden verengte sich der Raum zu einer Spalte, einer Ritze, einem Haarriss. Die Taschenlampe leuchtete zitternd ins Dunkel.
    Im Aufstehen senkte er die Lampe, so dass sie ins Innere der Höhle strahlte. Der Raum war klein, eine Luftkapsel, bestenfalls zehn Meter lang. Es war die falsche Höhle, dachte er, und einen Augenblick lang stellte er sich vor, wie peinlich es wäre, zurückzugehen und Eberhard noch einmal nach dem Weg zu fragen. Dann sah er, wie das Licht eine Felskante streifte und sich dahinter im Dunkeln verlor, im tieferen Raum.
    Ihm fiel ein, was Eberhard gesagt hatte: Er hatte die Taschenlampe zu früh eingeschaltet. Er dunkelte sie mit der Hand ab. Es widerstrebte ihm, sie wieder auszumachen. Die Höhle war nicht mehr zu sehen, nur ein schwacher Schein drang durch seine Finger, blutrot, warm und beruhigend. Zu seinen Füßen bewegte sich etwas: Es war die Taube, die seitwärts vor ihm oder dem Licht davonhumpelte. Er holte tief Luft, dann noch einmal, als sei er drauf und dran, ins Wasser zu springen, und schaltete die Lampe aus.
    Der Boden der Höhle war glatt und stieg nach hinten zu an: Er wusste, dass da keine Spalten waren, doch ohne das Licht begann er daran zu

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