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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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zweifeln. Er stapfte ins Dunkel. Ein dürrer Zweig knackte unter seinem Fuß. Er machte noch einen Schritt.
    Beim vierten Schritt zögerte er. Weiter vorn hörte er etwas. Ein Scharren oder Nagen. Es hörte auf und fing wieder an, hörte auf und begann wieder, verstohlen, wie eine Maus in einer Wand. Es musste der Vogel sein, sagte er sich, wegen der Echos war das Geräusch nicht zu orten. Aber er wusste, dass es nicht der Vogel war.
    Er ging hastig die letzten fünf Schritte und knipste die Lampe wieder an. Kaum einen halben Meter vor seinem Gesicht war eine Kalksteinwand, gelblich, bläulich, schwarz. Um ein Haar wäre er dagegengerannt. Weiter ging es nur nach rechts, durch eine geriffelte Öffnung im Gestein.
    Sie war glatt, die Ränder verkalkt, als sei sie vom Wasser gegraben worden. Wie der Höhleneingang verengte auch sie sich nach oben: Nur in Bodennähe konnte er weiterkommen. Er leuchtete hinein. Der Kriechraum weitete sich. Mehr war nicht zu erkennen.
    Er setzte sich mit dem Rücken gegen die Wand neben das Loch. Wuchtete die beiden Taschen nach vorn, öffnete sie, leerte sie aus und legte alles vorsichtig auf den Boden zwischen seinen Füßen.
    Brot, sechs runde Laibe. Wasser, von dem er schon wusste, denn er hatte beim Aufstieg das Gewicht gespürt: acht Liter auf vier Flaschen verteilt. Ein Knäuel blaue Nylonschnur. Eine Tafel Nestlé-Schokolade. Eine Maske.
    Er betrachtete die Maske. Es war ein Latexkopf, hautfarben, die Kopfhaut unbehaart. Das Gesicht bekam in seiner Hand Grübchen und wurde schlaff. Einen Moment lang kam es ihm vertraut vor: ein schrecklicher alter Mann mit halbmondförmigen Augen und einem obszön zusammengekniffenen Mund. Es war eine der rituellen Masken aus dem Heiligtum der Artemis Orthia. Dann strich er sie glatt, und der Mund und die Augen entspannten sich und wurden kummervoll anonym.
    Er konnte sie nicht aufsetzen. Die Maske machte alles klar, ganz plötzlich, mit niederschmetternder Gewissheit. Die Höhle um ihn herum, und die Nacht draußen. Er hatte eine Halloweenmaske in der Hand. Er versuchte sich zu erinnern, wann sie definitiv geworden war, seine Anwesenheit in dieser Zeit und diesem Raum. Der Punkt, von dem aus es kein Zurück mehr gab.
    Es gibt keinen Weg zurück.
    Er setzte sich das Gesicht auf. Der Gummi zerrte an seinen Haaren. Die Maske reichte bis auf seinen Hals hinab, hing ihm schlaff unter dem Kinn. Sofort begann er zu schwitzen. Es gab keine Löcher für die Nase, und er rang nach Luft; dann begriff er. Sein Atem hallte ungleichmäßig wider, als er die Taschen wieder packte und sich vor die Öffnung kniete.
    Zentimeter für Zentimeter schob er sich hinein. Der Kriechraum war genauso glatt wie am Höhleneingang, als wäre er das Produkt eines Organismus oder selbst organisch. Die Luft wurde wärmer, und er nahm auch einen neuen Geruch war, nicht den des Gesteins oder der Gummimaske, sondern etwas Animalisches. Einen schwachen Gestank wie von Fäkalien, der ihn vor Angst würgen ließ.
    Er kroch weiter. Einmal spürte er die Wände an beiden Schultern. Dann hatte er das Schlimmste hinter sich, und als der Gang weiter wurde, erkannte er den Anfang einer zweiten Höhle.
    Sie war viel größer als die erste. Die Decke war gezackt – trockene, abgebrochene Stalaktiten hingen davon herab. Nach vorn war keine Wand zu sehen. Der Boden fiel von seinem Standort aus steil ab, so weit das Licht seiner Lampe reichte.
    Dort unten war etwas.
    Es war dicht vor dem blinden Ende der Grube, vielleicht fünfzehn Meter entfernt. Es bewegte sich, doch anfangs dachte er, es sei nur scheinbar etwas Lebendiges, wie Laub, Asche oder Holz in einer unterirdischen Luft- oder Wasserströmung. Dann sah er, dass es sich an etwas zu schaffen machte, an einem überhängenden Felsen kratzte, planlos, aber hartnäckig, als suchte es nach etwas Essbarem, und damit stand fest, dass es sich doch um ein Lebewesen handelte.
    Es war gedrungen, dunkel und vierbeinig. Er dachte an die Schakale, doch dieses Wesen war größer und ungeschlachter und weder wach noch wendig. Einen Moment lang dachte er, es handle sich um ein Schwein, ein massiges, auf einem Bauernhof gemästetes Tier, dessen Deplatziertheit in der dunklen Höhle schlimmer gewesen wäre als alles andere. Als sich seine Augen dann anpassten, stellte sich heraus, dass es kein Schwein war und auch sonst kein Vierbeiner; die Hauptmasse bestand nämlich aus einem Haufen Decken oder Pelze, und die Gliedmaßen, mit denen das Wesen an der

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