Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
Vom Netzwerk:
Bitte! Bitte!«
    Das Geschrei verfolgte ihn. Ohne zu wissen, wie er dort hingelangt war, fand er sich am Eingang der Höhle wieder und drosch mit der Taschenlampe und der freien Hand auf das Gestrüpp ein, bis das Geschrei verstummte.
    Er setzte sich hin. Er merkte erst, wie die Zeit verging, als die trockene Kälte des Steins durch seine Kleider drang. Er dachte daran, wie der alte Mann in der Höhle schlief und die Kälte in seinen Körper kroch.
    Die Taube hockte ihm gegenüber. Ihre Augen waren stumpf, ohne jedes Interesse an ihm. Seltsam, dass sie nicht geflüchtet war. Er fragte sich, ob sie bald sterben würde.
    Die Maske war nass von Schweiß und Spucke. Er wischte sinnlos an ihr herum, zog sie dann ab und schüttelte sie aus. Nach einer Weile wurde ihm bewusst, dass er den Mann in der Grube immer noch hören konnte. Er kreischte nicht mehr, aber seine Stimme hob und senkte sich in der Ferne, ein Heulen, nicht wortlos, doch unverständlich durch den Widerhall.
    Du wirst selbst wissen, was sonst noch zu tun ist.
    Die eine Tasche hing noch über seiner Schulter. Er stand auf und suchte die andere. Sie lag auf halbem Weg in der ersten Höhle. Da er schon so weit gekommen war, fiel es ihm auch nicht schwer, noch weiter zu gehen. Er setzte die Maske wieder auf. An dem Wurmloch ließ er sich auf alle viere nieder. Um die Lampe nach vorn richten zu können, musste er auf den Ellbogen robben.
    Er kroch bis an den Rand der Grube. Der alte Mann hockte unten und schaukelte hin und her. Die Wand neben ihm war mit angetrockneten dunklen Streifen bedeckt, die von Blut oder Exkrementen stammen konnten.
    Er öffnete wieder die Taschen. Er band die Schnur um den Hals der ersten Flasche und ließ sie langsam hinunter. Das Knäuel war zur Hälfte abgewickelt, als die Flasche ins Schwingen geriet und immer wieder gegen die Grubenwand schlug. Der Mann hörte auf zu schaukeln, sein Blick hob sich erst zu der Flasche und dann weiter nach oben. Der Ausdruck war der einer Gestalt auf einem religiösen Gemälde – ein zum Himmel aufschauender Märtyrer, geduldig, erwartungsvoll, fanatisch.
    »Ich habe Durst.«
    »Machen Sie die Schnur ab.«
    »Was gibt es sonst noch?«
    »Brot.«
    »Nur Brot?«
    »Schokolade.«
    »Ah, gut.«
    »Haben Sie sich wirklich die Hand aufgeschnitten?«
    »Dreckskerl«, sagte der Mann, band die Flasche los und hielt die Flasche im Arm.
    Es war mühselig. Beide agierten unbeholfen in dem schwachen Licht und mühten sich ab. Ohne dass Ben ihn auffordern musste, sammelte der Mann leere Flaschen auf und befestigte sie an der Schnur, damit Ben sie hochziehen konnte. Einmal wiederholte er seine Frage, ob Ben der Engländer sei, mit zweifelnder, quengeliger Stimme. Als sie fertig waren, legte sich der Mann hin und deckte sich mit den Schaffellen zu. Er wirkte älter, wie er so da lag. Später wurde Ben klar, warum: Er sah aus wie eine Leiche. Sein Blick irrte in die Höhe, doch seine Augen waren leer, wie die des Vogels. In seinem Gesicht stand nichts geschrieben. Es war, als schaute man in die Augen eines Neugeborenen, dessen Sehkraft noch so schlecht ist, dass es nur ganz verschwommen die Umrisse sehr naher Objekte erkennt. Er schulterte die Taschen und ging, riss sich die Maske herunter und kroch durch die Höhlen und den Gestrüppvorhang zurück ins Freie.
    Die Nacht war schön geworden. Der Mond war heller, nicht mehr hinter Wolken. Ein Flugzeug flog westwärts, in so extremer Höhe, dass es kein Geräusch zu machen schien. Sonst nur zeitlose Landschaft. Mythische Berge. Versilbert.
    Eberhard saß noch an derselben Stelle, ein Wächter, den Blick über die tiefen Täler gerichtet. Ben stapfte den Hang hinab. Seine Beine waren taub, und das Gestrüpp zog und zerrte an seinen Füßen. An dem Felsblock ließ er die Taschen und die Maske fallen und setzte sich, nicht Eberhard oder Sparta zugewandt, sondern den Blick nach oben gerichtet, zu den Höhlen.
    Viel Zeit verging, bevor Eberhard etwas sagte, und dann tat er es mit weicher, nachdenklicher Stimme im Mondlicht.
    »Er heißt Kiron Makronides. Er ist neunundsechzig. Er wurde in Epirus geboren, als Sohn einer Soldatenfamilie. Im Krieg war sein Vater einer der vielen Griechen, die bei den Deutschen dienten. Er kämpfte gegen den kommunistischen Widerstand und starb – nicht unter heldenhaften Umständen – in den epirotischen Bergen. Nach dem Krieg lebte die Familie bei einem in Larissa stationierten Onkel. Kiron wurde Offizier bei der Panzertruppe. Er heiratete

Weitere Kostenlose Bücher