Verborgen
Felswand kratzte, endeten beide in einer Hand.
Das Licht seiner Lampe fiel auf die Felswand, und das Wesen hörte abrupt auf zu kratzen und drehte sich um. Es hob einen Arm gegen den grellen Schein und kam dann schlurfend auf ihn zu. Dabei rutschten ihm die Decken und Schaffelle vom Kopf, und er sah, dass es ein Mann war.
Die Lampe fiel ihm aus der Hand. Das Licht blitzte auf und tanzte wie wild. Er bekam sie gerade noch zu fassen, als sie auf den Rand zu rollte. Als er sie wieder fest in der Hand hielt, war der Mann näher gekommen. Er war nicht mehr jung, aber kräftig gebaut, mit einem Schnurrbart und kürzeren, helleren Bartstoppeln auf Wangen und Kinn. Sonst war er fast kahlköpfig. Mit offenem Mund schaute er zu ihm hoch und verdrehte die Augen gegen das Licht, was ihm einen leicht schwachsinnigen Ausdruck verlieh.
Kein Laut war zu hören außer ihrer beider Atem. Schließlich fuhr sich der Mann mit der Zunge über die Zähne.
»Guten Abend.«
»Hallo.«
Seine eigene Stimme klang fremd. Lippenlos, von der Maske verzerrt.
»Wissen Sie, woher ich das weiß?«
»Was?«
» Guten Abend . Woher weiß ich, dass es Abend ist?«
»Keine Ahnung«, sagte er, und der Mann lächelte, liebenswürdig, als sprächen sie über das schöne Wetter.
»Hier drin gibt’s eine Fledermaus. Nur eine. Ich dachte immer, die leben in Schwärmen, wie die Vögel, aber hier ist nur die eine. Jetzt ist sie nicht da. Sie ist ausgeflogen, auf Jagd. Daher weiß ich, dass es Abend ist. Ich hasse sie. Sie scheißt überallhin.«
Er sagte nichts. Nach einer Weile hob der Mann die Hand, als wollte er winken.
»Sehen Sie das?«
Der Mann hatte einen provinziellen Akzent, dachte Ben, obwohl auch seine Stimme verzerrt klang. Sie war heiser vom mangelnden Gebrauch, und bei bestimmten Wörtern oder Silben klickten seine Zähne. In seinem Bart klebte etwas, eine eitrige Kruste um den feuchten Glanz seiner Zähne. »Sehen Sie das?«, fragte er noch einmal, und Ben schauderte.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Meine Hand.« Mit einem furchtbaren Lächeln spreizte der Mann die Finger zu einem Stern. »Schauen Sie. Ich habe mich geschnitten.«
»Ich kann nicht…«
»Ich versuche raufzuklettern. Immer wieder. Natürlich versuche ich es. Kommen Sie an den Rand vor«, sagte er, und als Ben den Kopf schüttelte, kam er selbst noch zwei Schritte näher. Jetzt hielt er die Hand über den Kopf erhoben. Die Nägel waren schwarz und rissig, die Handfläche kräftig ockerfarben.
»Sehen Sie es jetzt ?«
»Ja.«
»Es ist schlimm. Es fault. Ich verfaule. Sie sehen also, ich brauche einen Arzt.«
»Ich sag’s den anderen«, sagte Ben, und der Mann hörte auf zu lächeln. Er legte die Hand an die Stirn und blinzelte in das Licht.
»Ich hab Sie schreien hören. Welcher sind Sie?«
»Keiner«, sagte er, und der Mann lachte.
»Das sagt ihr alle. Ihr seid alle gleich. Sind Sie der Engländer? Ja, Sie sind es. Das sieht Ihnen aber nicht ähnlich, Engländer, so zu schreien. Jemand könnte Sie hören. Womöglich finden die diese, diese… Ich weiß nicht mehr. Ich vergesse schon Wörter, wissen Sie. Gräueltat. Diese Gräueltat . Aber hören Sie zu, Engländer, Sie klingen heute ganz anders als sonst. Vielleicht brauchen Sie auch einen Arzt. Vielleicht sind Sie ja auch am Verfaulen, genau wie ich. Kommen Sie runter, dann können wir gemeinsam in der Hölle verfaulen. Welchen Tag haben wir heute?«
»Samstag.«
»Stimmt. Ich verzähl mich manchmal. Ich komme mit meiner Fledermaus aus dem Takt. Ich komme aus dem Takt, weil ich sie hasse. Das kleine Mistvieh scheißt überallhin … Samstag. Und welcher Monat?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
Der Mann lachte. »Das sagt ihr alle! Aber ich versteh nicht, warum. Warum denn bloß, hm? Komm ruhig an die Kante vor, Junge. Ich kann dir nichts tun.«
»Tut mir leid«, sagte Ben, und der Mann machte einen Satz nach vorn, plötzlich wie rasend und voller Energie, und kratzte an der Grubenwand, grub seine schwarzen Nägel in den Stein.
»Sie sind nicht er, oder? Mein Gott, welcher sind Sie denn? Wer sind Sie? Helfen Sie mir. Um Himmels willen, Junge, hilf mir, hilf mir, wenn du nicht er bist.«
»Tut mir leid«, sagte er noch einmal leise, und der Mann begann zu kreischen, sein Mund verzerrte sich vor Wut, sein Gesicht runzelte sich wie die Maske.
»Wichser! Arschficker! Hurensohn! Dreckskerl, ich bring dich um, ich fress dich bei lebendigem Leib, ich … ach, um der Liebe Christi willen! Bitte?
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